Die Fehler der Väter: Mama-Söhnchen, hebt eure Hintern!


Italien bietet wenig Perspektiven. Doch das darf kein Alibi sein, findet Alberto Forchielli. Der Buchautor fordert die Jugend dazu auf, statt in Selbstmitleid zu baden, aus den Fehlern der Väter zu lernen und dem Land eine Zukunft zu schenken.

Für Lucia Cestari, 55 Jahre alt, war es nicht leicht, sich in einer Männerwelt durchzusetzen. Noch dazu auf dem Land. Sie verdankt es ausschließlich ihrem „Dickkopf“, dass sie heute ihren Rinderhof samt Ferienzimmer alleine verwaltet. Der Bauernhof „La Presa“ liegt im Veneto – eingebettet im Delta del Po, der Mündung von Italiens längstem Fluss. Eine Frau im Schlachthof war vor 30 Jahren noch ein Affront. Lucia ließ sich aber von ihrem Traum nicht abbringen, verrichtete schnell die Buchhaltung – dafür hatte sie ihr Vater vorgesehen – und war den Rest der Zeit in den Stallungen. „Mein Vater war es, der mir vorgelebt hat, dass man hart arbeiten muss, um seine Ziele zu erreichen“, sagt Lucia.

Lucia Cestari verwaltet ihren Bauernhof allein.

Ihr Vater hatte in jungen Jahren als Fuhrmann begonnen und es bis zum Landbesitzer gebracht. „Und diese Dickköpfigkeit, die Bereitschaft auch Opfer zu bringen, fehlt mir heute bei den Jugendlichen“, sagt die Tochter. Auf ihrem Bauernhof würde sie gern ein paar junge Männer anstellen. „Doch sobald sie hören, dass turnusmäßig auch Samstag und Sonntag gearbeitet wird, ist ihr Interesse im Nu verflogen.“

Diese Erfahrung hat auch Alberto Forchielli, Jahrgang 1955, gemacht. Der ehemalige Berater der World Bank ist heute Vorsitzender von Mandarin Capital Partners, einer Investmentfirma mit Sitz in Mailand und Luxemburg, und hat ein Buch geschrieben, das eine klare Ansage an die junge Generation ist: „Hebt eure Hintern!“ oder auch „Bewege den Arsch!“ („Muovete il Culo!“) lautet der Titel. „Italiens Jugend hat keine Lust mehr, hart zu arbeiten“, schreibt er darin. „Sie findet es bequemer, sich die Zeit mit elektronischen Spielen zu vertreiben und den Sommer mit Papis Geld am Meer zu verbringen, anstatt es sich bei harter Arbeit auf dem Feld zu verdienen.“

Ziellos in die Zukunft

Zwar ist die Jugendarbeitslosigkeit in Italien leicht gesunken und liegt jetzt bei 31,7 Prozent. Im Vergleich mit anderen EU-Ländern liegt sie aber immer noch doppelt so hoch. Und auch das Wirtschaftswachstum hinkt mit 1,5 Prozent hinter dem der Eurozone (2,3 Prozent) hinterher. Mangelnde Jobchancen führen wiederum zu einer wachsenden Perspektivlosigkeit, weswegen heute jeder dritte Italiener zwischen 25 und 29 Jahren weder studiert noch eine Ausbildung macht oder irgendeine Arbeit sucht. Die Lage ist also zweifelsohne wenig ermutigend. Nichtsdestotrotz werden immer wieder Stimmen laut, die meinen, etwas mehr Unternehmungsgeist seitens der jungen Generationen wäre durchaus hilfreich.

Etwas abschätzig sprechen einige mittlerweile von „Mammoni“, Muttersöhnchen – andere wiederum von „Bamboccioni“, großen Babys, die zu allem Überfluss auch noch sehr „choosy“, wählerisch, seien. Doch es wäre falsch, zu verallgemeinern, immerhin sind allein im letzten Jahr wieder 150.000 junge Italiener ins Ausland gezogen, um sich dort eine Zukunft aufzubauen. Und auch unter denen, die bleiben, gibt es viele, die nicht tatenlos in den Tag hineinleben. Luca, der Philosophie an der Mailänder Universität studiert, flitzt für einen Lieferdienst kreuz und quer durch die Stadt, wenn er nicht gerade vor den Büchern sitzt. Nebenbei lernt er auch Deutsch – und das nicht nur, um Kant und Hegel im Original zu lesen: „Wer weiß, vielleicht verschlägt es mich irgendwann nach Deutschland“, sagt er.

Einen genauen Plan, wie seine Zukunft aussehen soll, hat Luca aber noch nicht. „Und genau das ist das Problem“, schreibt Forchielli. Gegen (Tag-)Träume sei nichts einzuwenden, doch Zielstrebigkeit sei in unserer Welt weitaus wichtiger. Dieses Faible dafür, nur seinen Leidenschaften nachzugehen, führe dazu, dass in Italien ein 40-Jähriger noch ein „Ragazzo“, ein Jugendlicher sei, während Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, Jahrgang 1984, und Google-Gründer Larry Page, Jahrgang 1971, zwei der erfolgreichsten Unternehmen weltweit führten. In Italien, so Forchielli, heißen die wichtigsten Wirtschaftskapitäne noch immer Giorgio Armani, Leonardo del Vecchio und Silvio Berlusconi, alle über 80 Jahre alt.

Im Wohlstand eingenistet

Forchielli fordert deshalb seine jungen Landsleute auf, endlich gegen die Väter- und Großvätergeneration, die wie festgenagelt hinter ihrem Schreibtisch sitzt, zu rebellieren. Und er tut es in einem harschen Ton, in der Hoffnung, Tragödien wie der vor einem Jahr entgegenzuwirken. Ein 30-Jähriger hatte sich aus lauter Perspektivlosigkeit das Leben genommen. Im Abschiedsbrief an seine Eltern schrieb er: „Ich fühle mich von einem Zeitalter verraten, das mich beiseiteschiebt, anstatt mich aufzunehmen und von einem Land abgeschrieben, in dem man sich ergebnislos anstrengt, das Talente nicht fördert, Ambitionen ächtet und Träume verhöhnt.“

Forchielli ist sich sicher, dass die Schuld bei den Vätern, also bei seiner eigenen Generation liegt, und entschuldigt sich gleich am Anfang dafür. Er nennt sich und seine Altersgenossen „Parasiten“. Man habe sich im Wohlstand eingenistet, den die Väter, die Kriegsgeneration, aufgebaut hatten. Man sei nicht einmal imstande gewesen, die Kinder auf das Leben vorzubereiten. „Wir haben sie zu 'Schimmelpilzen' gemacht, untätig und feige, ohne Willenskraft und ohne Opferbereitschaft.“ Von der Jugend von heute fordert der Autor deshalb, sich die Väter der „Great Generation“ zum Vorbild zu nehmen, sich demütig die Ärmel hochzukrempeln und aus den Trümmern, die seine Generation hinterlassenen hat, wieder ein zukunftsträchtiges Land zu machen.



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