Tatort Schule: So können Kinder und Jugendliche straffällig werden

Das eigene Kind in Konflikt mit dem Gesetz – schon im schulischen Umfeld überschreitet der Nachwuchs leicht die Grenze zwischen jugendlichem Übermut und Vergehen, die strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können – auch für die Erwachsenen.

Daran ist nicht zu rütteln: Strafunmündig und damit geschützt vor strafrechtlicher Verfolgung sind nach deutscher Gesetzgebung alle unter 14-Jährigen – ganz gleich, was sie angestellt haben. Ältere Schüler hingegen müssen für das geradestehen, was sie ausgefressen haben, wenn auch nicht immer vor Gericht.

Erste Instanz ist die Schule

Hintergrund dafür ist, dass ihre Missetaten in einen Bereich zwischen Schul- und Strafrecht fallen. Geraten Schüler aus der Spur, greife in der Regel als erste Instanz die Schule ein – und zwar im Rahmen ihrer Aufsichts- und Schutzpflicht gegenüber Schülern und Lehrpersonal mit entsprechenden Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen, sagt Edith Schwab, Fachanwältin für Familienrecht. Je nach Art und Schwere des Vorfalls sowie der Einschätzung des Geschädigten müssen strafmündige Jugendliche aber unter Umständen mit einer Anklage rechnen.

Dass Kinder und Jugendliche in deutschen Schulen gar nicht so selten deutlich über das Ziel hinausschießen,

Laut der Befragung wurde rund jede vierte Lehrkraft hierzulande in den vergangenen fünf Jahren schon einmal von einem Schüler bedroht, beleidigt, beschimpft oder gemobbt. Sechs Prozent der Umfrageteilnehmer berichteten von körperlichen Angriffen, genauer: von Fausthieben, Tritten oder dem Bewerfen mit Gegenständen. Zunehmend entwickelt sich nach der Analyse außerdem das Mobbing von Lehrern im Internet zum Problem: 77 Prozent der Befragten klagten über verstärkte Online-Schikanen.

Online-Schikanen sind kein harmloser Spaß

Entwickeln sich unsere Schulen zum Tummelplatz für kriminellen Nachwuchs? Eher nicht. Viele Jugendliche, die etwa einen Lehrer oder Klassenkameraden mit einem fiesen Bild oder Video auf Instagram oder Facebook bloßstellen, sind sich wahrscheinlich nicht bewusst, dass es sich dabei juristisch um eine Beleidigung und damit um eine Straftat handelt.

Ob Schüler ab 14 Jahren deswegen einen Strafprozess fürchten müssen, hängt zum einen vom Ausmaß der Verunglimpfung ab und vom Grad ihrer Verbreitung, die in einem sozialen Netzwerk natürlich stärker ist als im Klassenzimmer. Zum anderen spielt die Einsicht des Übeltäters eine wichtige Rolle – ungeachtet seines Alters.

In einem ersten Schritt werde die Schule mit dem ausfällig Gewordenen sprechen, ihn auffordern, den beleidigenden Beitrag zu löschen und sich bei seinem Opfer zu entschuldigen, sagt Schwab. So verfahren die Schulverantwortlichen auch, wenn die Schmähung nicht online, sondern in der Klasse oder auf dem Schulhof stattgefunden hat.

Zeige das Gespräch nicht den gewünschten Erfolg, lade die Schule die Eltern vor und erinnere sie an ihre Aufsichts- und Erziehungspflicht. Bei besonders gravierenden oder mehrfachen Beleidigungen werde zudem das Jugendamt eingeschaltet, das dann seinerseits individuell entscheidet, ob und mit welchen Maßnahmen es eingreift.

Physische Gewalt führt oft zu Schulverweis

Und was, wenn es sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen ist, wie in der Forsa-Umfrage beschrieben? „Greift ein Schüler einen Lehrer oder Mitschüler tätlich an, gilt das als Körperverletzung und stellt eine Straftat dar“, sagt Anwältin Schwab. Schon die Androhung von Gewalt sei strafbar, zum Beispiel das Erheben der Faust gegen eine Lehrkraft. Eine solche Attacke setze ein ähnliches schulinternes Prozedere in Gang wie im Falle einer Beleidigung, meist jedoch mit einem Schulverweis als Ergebnis.

Nur in Einzelfällen entschließt sich das Jugendamt dazu, den Täter aus dem elterlichen Zuhause zu nehmen und beispielsweise in einer betreuten Wohnmaßnahme unterzubringen.

Eine Verurteilung droht einem strafmündigen Schüler, wenn ihm ein Vergehen zweifelsfrei nachzuweisen ist und sich das Opfer entschließt, einen Strafantrag zu stellen. Laut Schwab kann der junge Täter in dem darauf folgenden Gerichtsverfahren von einem Arbeitsdienst bis hin zu einer Geldstrafe verdonnert werden in einem Rahmen, wie er auch bei Erwachsenen angewendet wird. Doch soweit kommt es meist nicht. 

Lehrer scheuen sich, Straftaten von Schülern anzuzeigen

Die Forsa-Studie zeigt: Nur sieben Prozent der betroffenen Pädagogen zogen vor Gericht. Stattdessen setzten die Schulen auf interne pädagogische Lösungen. Diese reichten von der Einschaltung der Eltern (25 Prozent), dem Reflektieren der Tat durch den Schüler (23 Prozent) sowie Ordnungsmaßnahmen (17 Prozent) über einen temporären oder dauerhaften Schulverweis, eine Klassenkonferenz, das Hinzuziehen der Schulleitung oder anderer Autoritäten bis hin zum Ausschluss von Aktivitäten, Nachsitzen oder Strafarbeiten. Außerdem wurden psychotherapeutische Maßnahmen und soziale Tätigkeiten angeordnet.

Schulschwänzer begehen Ordnungswidrigkeit 

Massiven Ärger handeln sich jedoch nicht nur Schüler ein, die psychische oder physische Gewalt gegen andere ausüben. Aus juristischer Sicht problematisch können auch ganz klassische „Jugendsünden“ werden. Nach einer Schätzung des Deutschen Lehrerverbandes machen zum Beispiel 100.000 Kinder täglich blau – und Schwänzen ist nicht wirklich ein Kavaliersdelikt. Schüler, die sich eigenständig Freistunden oder freie Tage gönnen, verstoßen gegen die gesetzliche Schulpflicht und begehen eine Ordnungswidrigkeit.

Nur volljährige Schüler dürfen allein entscheiden, ob sie zum Unterricht gehen wollen oder nicht. In der Folge riskieren sie zwar einen Schulverweis – wem aber ohnehin nichts an der Teilnahme am Unterricht liegt, den wird das kaum belasten.

Eltern droht Geldstrafe

Bei allen anderen Schulvermeidern stünden die Eltern in der Pflicht, erläutert Anwältin Schwab. Mütter und Väter seien verpflichtet dafür zu sorgen, dass ihr Spross im Klassenzimmer erscheint. 

Grundsätzlich gilt für Minderjährige: Strafmündig werden Kinder hierzulande erst mit 14 Jahren. Jüngere könnten selbst für objektiv strafbares Verhalten strafrechtlich nicht belangt werden, erklärt die Frankfurter Rechtsanwältin Adelheid Viesel. 14- bis 18-Jährige fallen demnach unter ein besonderes – im Jugendgerichtsgesetz (JGG) geregeltes – Jugendstrafrecht. Dieses sei dem Erziehungsgedanken verhaftet und weniger dem Strafrecht. Bei auffällig gewordenen jungen Menschen ordne das Jugendgericht gewöhnlich Erziehungsmaßnahmen an. 18- bis 21-jährige hingegen müssen laut Juristin Viesel damit rechnen, dass geprüft wird, ob in ihrem Fall das Jugend- oder das Erwachsenenstrafrecht angewandt wird. Paragraph 3 des JGG legt fest, dass Jugendliche sich strafrechtlich verantworten müssen, wenn sie reif genug sind einzusehen, dass ihr Verhalten nicht rechtens war. Das Jugendstrafrecht greift hingegen bei typischen Jugendverfehlungen oder wenn der Heranwachsende „in seiner Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichsteht“ (§ 105 JGG).

Andernfalls bestelle die Schule die Eltern ein und fordere sie auf, für einen regelmäßigen Schulbesuch zu sorgen. Schwänzt der Nachwuchs weiterhin, können den Eltern Bußgeldbescheide in Höhe von mehreren hundert Euro ins Haus flattern. Die Familienrechtlerin rät, diese nicht zu ignorieren. Sie kennt Fälle, in denen einem ersten Bescheid über eine Strafe von 300 Euro nach einer gewissen Frist eine Forderung von 600 Euro folgte.

In der Praxis gelänge es Eltern einfach nicht immer, ihr Kind ohne professionelle Hilfe zur Einsicht zu bewegen, sagt Fachfrau Schwab. Bei einer guten Kooperation von Schule und Jugendamt könne ein Schüler, der immer wieder schwänze, zwar notfalls per Polizei-Eskorte von seinem Zuhause bis zur Schulbank begleitet werden. Voraussetzung dafür sei allerdings eine gerichtliche Verfügung, die das Sorgerecht in Bezug auf den Schulbesuch dem Jugendamt übertrage. Nach Schwabs Erfahrung sparen sich die Behörden diesen Aufwand gerne – vor allem bei Jugendlichen, die bald volljährig werden.

Urkundenfälschung ist kriminell

Eine andere in strafrechtlicher Hinsicht kritische Situation kennen zahlreiche Eltern sicher aus der eigenen Jugend: Wer noch nicht volljährig ist, benötigt hin und wieder die Unterschrift eines Elternteils, etwa unter einer Klassenarbeit oder Entschuldigung. Um Ärger wegen schlechter Noten oder Fehltagen zu entgehen, lässt sich mancher Schüler dazu verleiten, den elterlichen Schriftzug zu fälschen. „Im Einzelfall sehen Lehrer darüber eventuell sogar hinweg“, sagt Schwab. „Manipuliert ein strafmündiger Schüler allerdings ein behördliches Dokument – zum Beispiel ein ärztliches Attest oder ein Schulzeugnis – , ist das eine kriminelle Handlung. Ebenso strafbar machten sich Gehilfen und Anstifter.“

Und Vorsicht: Das unter Teenagern beliebte Anpassen des Geburtsdatums auf dem Schülerausweis ist ebenfalls Urkundenfälschung. Fliegt der Schwindel auf, kommen Ersttäter gewöhnlich mit einer Ermahnung oder Sozialstunden davon. Je nach Einsatz des Ausweises wird aber möglicherweise eine Strafe nach dem Jugendstrafrecht fällig.

Finger weg von Zeugnissen!

Kein Pardon haben volljährige Manipulatoren zu erwarten. Die Jugendkammer des Amtsgerichts Kassel verurteilte beispielsweise eine 24-Jährige, die die Schule in der zwölften Klasse abgebrochen, später das Abiturzeugnis ihrer Freundin genutzt und mit ihren Daten versehen hatte, nach Erwachsenenstrafrecht zu einer Geldbuße von 400 Euro. Die junge Frau hatte sich laut einem Medienbericht mit dem getürkten Dokument an der Kasseler Universität einschreiben wollen. Der Plan scheiterte, als die Hochschule die Zeugnisse kontrollierte und bei der Schule nachfragte.

Sogar zehn Tagessätze à 60 Euro bekam ein 27-jähriger Student aufgebrummt, der sich mit einem gefälschten Abschlusszeugnis einer Fachoberschule einen Studienplatz erschlichen hatte. Seine Immatrikulation war selbstverständlich hinfällig. 

Dass derartige Schummeleien sich noch nach vielen Jahren als Zeitbombe erweisen können, belegt die Geschichte einer Frau, die jahrzehntelang als Lehrerin gearbeitet hatte, bis ihre Hochstaplerei auffiel. Schon das Abiturzeugnis, auf das die falsche Pädagogin ihre Karriere aufgebaut hatte, war unecht. Sie wurde nach Informationen des „Spiegel“ fristlos entlassen und wegen Betrugs und Urkundenfälschung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Maßnahmenkatalog des Jugendstrafrechts

„Das Jugendstrafrecht stellt einen breiten Katalog von Rechtsfolgen zur Verfügung, mit denen das Gericht im Einzelfall angemessen reagieren kann“, sagt Juliane Baer-Henney, Pressesprecherin des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV):

  • Weisungen zur Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs oder an einem Täter-Opfer-Ausgleich
  • gemeinnützige Arbeitsleistungen
  • Schadenswiedergutmachung
  • Jugendarrest
  • Jugendstrafe.

Sie können mehr von den Nachrichten auf lesen quelle

Weer

Weather Icon
background