Historisches Fechten in Rosenheim


Einzelne Strahlen Sonnenlicht kämpfen sich durch die leichte Wolkendecke, während stille Winde den Aufschlag von Stahl auf Stahl über den leeren Sportplatz tragen. Mit Präzision und gewandtem Können schwingen Schwerter durch die Luft, zerschneiden sie und treffen auf ihren stählernen Gegner. Ein Moment der Ruhe, dann beginnt eine erneute Choreographie, ähnlich einem Tanzstück, mit fließenden, beinahe sanften Bewegungen, die hypnotisierend auf Zuschauer wirken. Zur abendlichen Stunde trainieren sechs Sportler unter der Leitung von Sebastian Höglinger eine Kunst, die viele als seltsam und absurd abstempeln würden: das Historische Fechten.

Darunter versteht man die Nachstellung von westlichen Waffenkampfkünsten, mit einem hohen Anspruch an historische Korrektheit der Darstellung, wie eine offizielle Informationsseite rund um diese Art des Fechtens erklärt. Doch diese Kampfkunst ist weit mehr als nur eine Kopie der mittelalterlichen Schwertkunst. „Es ist ein Versuch, eine Fechtkunst zu rekonstruieren, die in unserem Fall im 14. bis 15. Jahrhundert hier praktiziert wurde“, sagt Sebastian Höglinger, hauptberuflicher Ingenieur im Produktmanagement. Er engagiert sich neben seiner Tätigkeit als Trainer für das Historische Fechten im Sportbund DJK Rosenheim ehrenamtlich auch als Abteilungsleiter. Er erklärt seinen Schülern eine weitere Technik. „Es ist nicht wie das moderne Sportfechten. Es bezieht sich auf mittelalterliche Quellen, mittelalterliche Fechtbücher, und anhand der Techniken, die dort beschrieben sind, versucht man diese zu rekonstruieren.“ Seit seinem vierzehnten Lebensjahr übt er den Sport aus und verweist auf ein Buch mit dem Titel „Dierk Hagedorn: Peter von Danzig“, das er stets zum Training mitführt. Im deutschsprachigen Raum gibt es ungefähr 100 Fechtbücher und Texte, durch die sich die Sportler Techniken aneignen können. Die Bücher gehen meist auf einen Lehrer zurück, dessen Schüler die Techniken aufgeschrieben haben.

Nicht mit Verfilmungen vergleichbar

Die Klinge eines Schwerts zerschneidet präzise die Luft, um seinen Gegner niederzustrecken. Doch dieser schafft es mit einer gezielten Bewegung, die Klinge zu parieren und dem verwunderten Gegenüber die eigene Klinge gegen die durch Handschuhe geschützte Handfläche zu schlagen. Alle Trainierenden tragen eine Ausrüstung: Fechthelm und Handschuhe sowie spezielle Schoner für Gelenke, um die Sicherheit bei einer Sportkunst mit Klingen zu gewährleisten. Üblicherweise tragen Historische Fechter schwarze Bekleidung, die der weißen der modernen Fechtkunst ähnelt. Aber auch ohne ein solches Equipment ist das Verletzungsrisiko gering und sogar niedriger als beim Fußballspielen im Verein. Lediglich beim Freifechten, also bei der Möglichkeit der Schüler, frei die geübten Techniken anzuwenden, können kleinere Blessuren wie blaue Flecken entstehen. Auch die Arbeit mit einem echten Stahlschwert, das in der Länge von 95 bis 130 Zentimeter sowie in einem Gewicht von 7 bis 8 Kilogramm variieren kann, stellt hierbei kein Gefahrenrisiko dar, da die Seiten abgestumpft sind und Schutzkleidung getragen wird. Die einzige Gefahr, die von einer solchen Klinge ausgeht, ist der mögliche Muskelkater vom Heben des Schwertes, unter dem die Einsteiger meistens leiden.

Das trainierende Pärchen wiederholt den gezeigten Schlag noch einmal, bevor sich die Gruppen lösen und Sebastian Höglinger die Schüler zur Besprechung zu sich ruft. Sie nehmen die Fechtmasken ab und reden über das Gelernte. Tipps werden ausgetauscht und Ratschläge unter den Mitgliedern gegeben. Zu der kleinen Gruppe zählen eine Frau und fünf Männer. Der Verein hat zwei Trainer und zwanzig Mitglieder, acht Frauen und zwölf Männer. Sie treffen sich wöchentlich. Was viele dazu verleitet, eine solch spezielle Kampfkunst zu praktizieren, ist die Leidenschaft für die Geschichte, historische Videospiele, Bücher oder Filme. Schnell wird klar, dass das Historische Fechten nicht mit den Verfilmungen vergleichbar ist: „Die Bewegungen sind zu ausladend“, meint der 28-jährige Trainer. „Beim Fechten versucht man unbemerkt den Gegner anzugreifen. Filme und Videospiele wollen meist das Gegenteil, und zwar gesehen werden.“ Das einzige Videospiel, das auf eine solche Ausschmückung verzichtet, ist „Kingdom Come: Deliverance“ und somit ähnlich der Technik, die die Schüler wirklich erlernen, erklärt er.

Vorurteilhaft geprägter Blick

Es gibt auch die Möglichkeit, sich mit anderen in einem Kampf zu messen. So findet zum Beispiel in München jährlich ein großes Event statt, bei dem sich Fechter aus dem ganzen Land zusammenfinden und an Turnieren und Workshops teilnehmen. Auch Ranglistenturniere sind wichtige Events, bei denen Hunderte Fechter Punkte sammeln, um in der Rangliste für das jeweilige Land aufzusteigen. „Der einzige Nachteil bei solchen Veranstaltungen ist der weite Fahrtweg, was jedoch auch bedeutet, dass man beim historischen Fechten sehr schnell sehr viele Leute aus ganz Deutschland kennenlernt.“

Seine Schüler machen sich bereit für die erste Runde Freifechten in der späten Abendstunde, während sich die anderen im Freien trainierenden Vereine voneinander verabschieden, um nach Hause zu gehen. Vereinzelt werden hier von den jungen Sportlern oder wartenden Eltern verwirrte Blicke auf das kämpfende Paar geworfen. „Wenn man erzählt, was man macht, meinen viele Leute, dass man auf mittelalterliche Märkte fährt und irgendwelche Showkämpfe austrägt. Die Sportart wird oft nur belächelt“, erklärt ein Sportler auf Nachfrage. „Dass die Sportart ernst genommen wird als das, was sie ist, und zwar mit modernem Equipment und ohne mittelalterliches Gewand, merken Leute meistens erst, wenn sie es sehen“, erläutert er den vorurteilhaft geprägten Blick auf diesen anstrengenden Sport und wendet sich zu seiner Gruppe, um selbst am Freifechten teilzunehmen.

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