Als Lehrerin im Knast: Wo Schläger und Diebe zur Schule gehen

Autorität hat nichts mit Körpergröße zu tun. Nichts damit, wie laut man spricht oder wie stark man ist. Carmen Scheithauer ist 1,58 Meter groß, und Kampfsport macht sie nicht. Die Jungs folgen trotzdem. Seit 16 Jahren unterrichtet Scheithauer Straftäter in der Justizvollzugsanstalt Adelsheim in Baden-Württemberg.

Sie bereitet sie auf den Hauptschulkurs vor. Immer acht Jungs, drei Monate lang. „Es macht mir Spaß“, sagt die 49-Jährige in Jeans, grauem Wollpulli und roten Turnschuhen. „Wenn ich denen Wertschätzung und Empathie entgegenbringe, kommt es zu 99 Prozent zurück.“

Im August eskalierte im Jugendgefängnis Adelsheim eine Schlägerei beim Hofgang: 50 Jugendliche prügelten sich, gingen auch auf Beamte los und verletzten sechs von ihnen. Doch Scheithauer sagt: „Ich habe keine Angst. Wenn ich Angst hätte, dürfte ich nicht in Adelsheim arbeiten.“ Beim Kochunterricht ist sie allein mit den Schülern. Die Messer zum Petersilie- oder Zwiebelschneiden sind scharf.

Die Küche liegt im Untergeschoss der Schule mitten auf dem Gefängnisgelände. Daniel steht am Herd und wendet die Frikadellen, Jefferson schneidet die grünen Peperoni klein, Nory zerbricht die Schokolade für den Nachtisch, Yakup blickt ratlos auf den Teig vor sich. „Stell dich nicht so an. Mach einfach“, sagt Scheithauer. Yakup packt das Nudelholz und rollt den Teig aus. „Wie meine Mutter“, sagt Nory und lacht. Zehn Minuten später steht das Essen auf dem Tisch.

„Wenn die Hälfte es schafft, dann ist es schon viel“

Die jungen Männer sind 17 bis 19 Jahre alt. Sie haben versucht, Menschen umzubringen, sie niedergeschlagen, ausgeraubt. Beim Kochen sind sie hilfsbereit und höflich. In den 16 Jahren in Adelsheim sei ihr nie etwas passiert, sagt Scheithauer. Selbst den Notfallknopf an ihrem Handy musste sie nie drücken. Die Jacken dürfen die Schüler nicht mit in die Küche nehmen, um einen möglichen Messerklau zu erschweren.

Scheithauer stammt aus Mosbach, wo sie heute noch lebt. Als sie in Heidelberg Grund- und Hauptschullehramt studierte, absolvierte sie ein Praktikum in Adelsheim. Ihre Examensarbeit schrieb sie über die Zukunftschancen der Jugendlichen. „Wenn es von meinen acht Schülern die Hälfte schafft, dann ist es schon viel“, sagt die Lehrerin. Studien verweisen auf eine Rückfallquote von rund zwei Dritteln.

Anstaltsleiterin Katja Fritsche hält die Schule für sehr wichtig, auch weil sie Möglichkeiten für eigene Erfolge bietet. „Wenn du zufrieden bist mit dir, bist du im Zweifel weniger aggressiv“, sagt Fritsche. Bei den Schülern gebe es weniger Meldungen und Disziplinarmaßnahmen als bei den anderen Insassen.

Eine ganz normale Schule – aber ohne Frontalunterricht

Scheithauer hat sich bewusst gegen eine normale Schule entschieden, weil sie dort so viele Schüler hätte betreuen müssen. „Ich habe gesagt, ich habe lieber acht Schüler und kann pädagogisch mit denen arbeiten.“ In ihren Klassen sitzen Jugendliche vom Niveau eines Viertklässlers bis zum Niveau eines Neuntklässlers. „Ich mache so gut wie nie Frontalunterricht“, sagt Scheithauer. „Ich betreue die einzeln.“ Das Prinzip der Gemeinschaftsschule im Knast.

Das Klassenzimmer sieht aus wie in anderen Schulen: eine Tafel, eine Karte mit den „Staaten Europas“, ein großes Fenster, keine Gitter. Die Jugendlichen sitzen an Einzeltischen. Jeder bearbeitet seinen Stoff in seinen Heften: Mathe, Deutsch, Erdkunde oder Biologie. Scheithauer wandert mit ihrem Stuhl von Tisch zu Tisch. „Was ist 48 geteilt durch 6?“ „7?“, fragt Daniel. „8!“. „Oh Alter“, der junge Mann seufzt. Scheithauer kontrolliert die Hausaufgaben einzeln – und schätzt, wie viel Zeit die Schüler dafür gebraucht haben. Schließlich sind drei Stunden Hausaufgaben pro Tag Pflicht in der Ganztagsschule.

Wer mitarbeitet, verdient Geld

Wer sein Soll erfüllt, hat die Chance auf den Tagessatz von 11,94 Euro für den Schulbesuch – oder mehr. Die Jugendlichen bekommen genau so viel, wie wenn sie eine Ausbildung im Gefängnis machen würden, und mehr als die ungelernten Arbeiter. Einen Großteil des Geldes müssen sie zurücklegen, den Rest dürfen sie im Gefängnis-Laden ausgeben.

Scheithauer bietet den Jugendlichen Kunstkurse an, eine Schreibwerkstatt, Lesestoff. Einige lesen hier das erste Buch ihres Lebens. „Meine Schüler lernen die Freiheit in der Unfreiheit. Sie lernen das Denken“, sagt Scheithauer. Manche Schüler schaffen hier mit Anfang 20 den Schulabschluss, den sie draußen nie erreicht hätten. Manche Schüler schaffen sich hier selbst eine Chance.

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