Deich-Führung in Cuxhaven


Von einem auf den anderen Moment fängt es an wie aus Eimern zu schütten, und der Regen prasselt gegen die große Fensterfront der Jugendherberge in Cuxhaven-Duhnen. Nicht nur draußen biegen sich die Äste heftig mit dem Wind, sondern auch drinnen spürt die süddeutsche Schulklasse den starken Windzug im Essraum. Jürgen Schubel, Schultheiß und Vorsteher des Cuxhavener Deichverbands, schließt das gekippte Fenster und bleibt gelassen, während er den Verlauf von Ebbe und Flut und die wichtigsten Informationen zu Pegeldaten erklärt: „Von einem Sturm sprechen wir hier bei uns erst dann, wenn Schafe keine Locken mehr haben.“

Der Anwalt lässt sich nicht beirren

Schubel, der 1950 in Deichsende, einem Nachbarort von Cuxhaven, geboren wurde, ist sowohl als ehemaliger Stellvertreter des Oberbürgermeisters als auch als jetziger Schultheiß für die Deiche und den Katastrophenschutz verantwortlich. Die Hauptaufgabe des Deichverbands ist es, die Deiche so in Ordnung zu halten, dass sie im Herbst und Winter den Sturmfluten unbeschadet standhalten. Zu Schubels Tätigkeiten gehört es, die Sitzungen des Deichverbandes vorzubereiten, gefasste Beschlüsse umzusetzen und Protokolle zu verfassen. Bei den Verwaltungsaufgaben assistieren ihm zwei Halbtagskräfte. An den Deichen arbeiten fünf Mitarbeiter. Etwa dreimal wöchentlich finden Besprechungen wegen aktueller Planungen am Deich statt. Neben dieser Aufgabe ist Schubel als Rechtsanwalt tätig.

Als die Klasse aufbricht, um den Deich zu erkunden, lässt sich Schubel vom stürmischen Wetter nicht beirren. Während sich die Schüler bis zur Nase mit Schals, dick gefütterter Regenkleidung und Mützen auf den Deich wagen, trägt Schubel über seiner Kleidung nur eine Regenjacke und -hose. Dem starken Wind ausgesetzt, folgen die Schüler stampfend dem Schultheißen durch den nassen Boden. Hastig eilen sie zu einer wettergeschützten Freilichtbühne vor dem Deich, wo Schubel ihnen über Sturmfluten berichtet.

Sturmfluten sind berechenbar

Eine Sturmflut ist ein besonders hohes Tidehochwasser. Sie entsteht, wenn während der Wintermonate von West nach Ost ziehende Tiefdruckgebiete die Wassermassen in Richtung Küste drücken, sodass das Wasser bei Ebbe nicht zurückfließen kann. Die folgende Flut setzt sich dann auf den schon bei Niedrigwasser erhöhten Wasserstand. Die Sturmtiefs über der Nordsee sind verbunden mit heftigen Regenfällen und halten tagelang an. Sturmfluten sind heutzutage aber berechenbar. Obwohl Deiche unscheinbar aussehen, ist viel Arbeit und Wissen für deren Bau notwendig. Unter der Oberfläche befindet sich eine handbreite Graswurzelschicht. Darunter liegt idealerweise Kleiboden, der Wasser kaum durchlässt. Er bedeckt den Kern des Deichs, der heutzutage aus Sand besteht. „Die Sturmflut der vorangegangenen Nacht ist für alle unbemerkt verlaufen“, sagt Schubel ein Stück weiter neben der Kugelbake, dem Wahrzeichen Cuxhavens, an der Stelle, wo die Elbe in die Nordsee fließt. Die auf vier Holzpfeilern stehende Kugelbake ist 29 Meter hoch. Am oberen Teil des aus Holz errichteten Seezeichens befinden sich zwei Konstruktionen, die in der Silhouette wie Kugeln erscheinen. „In der Vergangenheit gab es sehr starke Sturmfluten, die Deiche und sogar ganze Städte überfluteten“, sagt er. Vom 16. auf den 17. Februar 1962 beispielsweise wütete in Hamburg die schlimmste Sturmflut der Stadtgeschichte. Ein großer Teil der Stadt wurde überschwemmt, 340 Menschen starben. „Wenn wir noch mehr in die Vergangenheit gehen, können wir sehen, dass es in Norddeutschland 1717 zu einer Sturmflut kam, die mehr als 1000 Menschen das Leben kostete.“ Damals kam es am Heiligen Abend zu einer katastrophalen Sturmflut, bei der das Wasser bis zu 35 Kilometer ins tiefer liegende Binnenland lief. Später wurden viele ertrunkene Menschen und Tiere sogar in Dachgeschossen der Bauernhäuser gefunden. Die nicht funktionierende Katastrophenwarnung sei der Grund, weshalb es in Hamburg zum Tod vieler Menschen kam. Diese Ereignisse seien eine Tragödie, die gleichzeitig eine Lektion war. Die Deiche wurden verstärkt und höher gebaut, Alarmierung und Gefahrenabwehr wurden organisiert. Der Fortschritt wurde etwa im Januar 1976 deutlich, als es bei den höchsten Sturmfluten an der Elbe zu keinem Deichbruch kam.

Schafe sind die besten Rasenmäher

Die Gruppe zieht in Richtung Cuxhaven-Hafen zum Deichverband. Schubel zeigt Gebäude, in denen Geräte und Fahrzeuge zur Deichpflege lagern. Wenn die Deiche auch nur geringste Schäden haben, müssen sie sofort beseitigt werden. Die fünf Arbeiter beseitigen mit Maschinen den auf die Deiche gewehten Sand und mähen das Gras, das sofort abtransportiert werden muss. Schafe seien eigentlich die besten Rasenmäher, da sie den Deich auch gleichmäßig festtrampeln und für eine gute Düngung sorgen. Zum Abschied sagt Schubel, dass Hochwasserschutz auch in vielen anderen Regionen eine Rolle spielt und dass die Schüler nicht ein falsches Bild von Sturmfluten im Kopf haben sollten. Im Dezember 2013 wurde eine „ungewöhnlich starke“ Sturmflut vorhergesagt. Journalisten eines Privatsenders warteten sensationsgierig darauf, dass etwas Dramatisches passiert, als ob Cuxhaven unter Wasser stünde. Wie erwartet, verlief die Sturmflut ohne Schäden. „Extreme Situationen müssen von den Verantwortlichen mit Ruhe und vorausschauender Übersicht angegangen werden, nicht mit Panik, Angstmacherei oder Aufgeregtheit.“

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