Der erste Argentinier beim VfB Stuttgart: Das Drama um Basualdo

Buenos dias, Santiago Ascacibar! Schon einmal spielte ein Argentinier für den VfB Stuttgart. Von 1989 bis 1991 trug José Horacio Basualdo das Trikot mit dem roten Brustring. Er war der Liebling der Fans und ein Opfer des Trainers.

Stuttgart – Es war am Sonntagmorgen. Die Presserunde nach dem Spiel. Arie Haan stocherte lustlos in einem Stück Erdbeerkuchen. Eine Handvoll Reporter hielt die Stifte wie Waffen gezückt. Es lief nicht unbedingt schlecht beim VfB Stuttgart. Aber was der Trainer gegen Ende der Saison 1988/89 zu erzählen hatte, klang wie schon tausendmal gehört. Die Mannschaft sei ganz ordentlich besetzt, seufzte der Niederländer, aber es fehle nun mal der Spieler, der den Gegner mit nur einem Schlag auf die Bretter schicken könne. Der VfB war wie ein Benz mit Plattfuß. Toll anzusehen, aber er kam nicht vom Fleck. Der Wasen-Karle machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. „Das Wischiwaschi auf Platz fünf“, murrte Allgöwer, „ist für den VfB auf Dauer zu wenig.“ Und so wie er dachten auch die Fans.

Ein Schuss Genialität

Sie hatten ja noch das Uefa-Cup-Finale vor Augen. Gegen den SSC Neapel (1:2/3:3). Der große Diego Maradona im Neckarstadion. Die Show eines Hochbegabten. Wer dabei war, bekam das Gefühl nicht los: Dem VfB fehlt trotz der Finalniederlage nur noch das berühmte schwäbische Muggaseggele, um zu den Großen in Europa zu zählen. Ein Schuss Genialität. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Schon damals war auf dem Wasen nicht der Reichtum ausgebrochen.

Da traf es sich gut, dass Haan während eines Länderspiels mit Carlos Bilardo geplaudert hatte. Der argentinische Nationalcoach plante den Coup: Er schickte die Besten seines Landes nach Europa. Sein ehrgeiziges Projekt: der WM-Titel 1990. Um seine Helden auf die Mission vorzubereiten, sollten sie immer montags zum gemeinsamen Training nach Mailand fliegen. Bilardo zog Haan am Ärmel: „Es gibt da übrigens einen jungen Mann bei Deportivo Mandiyu . . .“

Der VfB-Coach spitzte die Löffel, studierte ein paar Videos und überzeugte die Stuttgarter Verwalter der Armut: „Das ist der Straßenkicker, der uns fehlt!“ Weil der slowenische Mittelfeldstratege Srecko Katanec nach nur einem Jahr am Neckar für 1,75 Millionen Euro zu Sampdoria Genua gewechselt war, bekam VfB-Manager Ulrich Schäfer ausnahmsweise mal keine Migräne: 650 000 Euro für einen argentinischen Zauberfuß bedeuteten nicht den sofortigen Bank­rott. Tage später saß José Horacio Basualdo im Flieger, unterschrieb einen Zweijahresvertrag, und Trainer Haan machte den Fans den Mund schon mal wässrig: „Der hat Sachen drauf, wovon andere nur träumen.“

Der Ausnahmekönner

Der Name klang in Stuttgart ja auch schöner als Beethovens Neunte. Und Basualdo drehte schon während der ersten Darbietungen im weiß-roten Trikot mit dem Ball Pirouetten, die jeder Wertungsrichter im Eiskunstlauf mit Höchstnoten belohnt hätte. Basualdo nannte Michel Platini als Vorbild und erzählte bereitwillig von seiner Kindheit. Der Vater schuftete in einer Fabrik, die Mutter half auf dem Markt. „Für mich gab es immer nur Fußball.“ Der nette Bursche mit dem Indio-Gesicht wurde zum Liebling der Zuschauer. Sie schnalzten mit der Zunge, wenn Nene den Ball mit Hacke weiterspielte, ihn kurz auf dem Spann jonglierte oder messerscharf in die freien Räume trat. Dortmunds Coach Horst Köppel gratulierte öffentlich zur Beute: „Basualdo ist ein Ausnahmekönner.“ Sogar Dauerkritiker Karl Allgöwer war zufrieden: „Er ist unser bester Techniker.“ Trotzdem gab es Probleme.

Basualdo wohnte anfangs im Degerlocher Waldhotel. Er litt unter Heimweh, die Decke fiel ihm auf den Kopf. Und die Flatrate war noch nicht erfunden. Seine monatlichen Telefonkosten: 1000 Euro. Endlich konnte er Frau und Töchterchen nachholen: Silvina und Carolina. Die Familie fand eine Wohnung in Zuffenhausen, fühlte sich wohl. Alle Ampeln standen auf Grün.

Weil aber Fußball auch dort gespielt wird, wo das eigene Tor steht, hoben die ersten Kritiker die Augenbrauen. Den Knochenjob mit den Zweikämpfen überließ Basualdo vorzugsweise den Teamkollegen, er rannte lieber nach vorn als nach hinten. Und hemmungslos verspielt, wie er war, überraschte er die Mitarbeiter in der Abwehr auch mal mit tollkühnen Quer- oder Doppelpässen im eigenen Strafraum. „Er macht eben Dinge, die keiner erwartet“, sagte Arie Haan und zuckte mit den Schultern, „er ist ein Supermann, aber das kapiert hier ja keiner.“

In der Tabelle ging es nicht voran. Als der Niederländer auf die Bruddelei aus dem Präsidium entgegnete, dass beim VfB wohl der „Fisch vom Kopf her stinkt“, fühlte sich Gerhard Mayer-Vorfelder angesprochen. Der erboste Chef schickte dem Coach die Papiere. Willi Entenmann übernahm, und als der VfB im November 1990 Richtung zweite Liga trudelte, schwebte der Cassius Clay vom Rhein ein: Christoph Daum.

Basualdo war zu diesem Zeitpunkt schon Vizeweltmeister (0:1 im Finale gegen Deutschland) – und hatte als Bodyguard von Diego Maradona bei der WM in Italien eine gute Figur gemacht. Daum setzte den Argentinier trotzdem auf die Tribüne. Die humorlose Begründung: „Er macht Sachen, die selbst seine Mitspieler nicht verstehen.“ Basualdo reagierte gekränkt, verstand die Welt nicht mehr und ließ sich im Training hängen. „Ich nur Reserve!“ Er passe nicht in sein System, hielt Daum allen entgegen, die Partei für den sympathischen Argentinier ergriffen. Arie Haan nahm den Feinmotoriker weiter in Schutz. „Er ist zu schade für die Bundesliga. Wenn die Vereine solche Spieler nicht wollen, dann sollen sie Rennpferde kaufen“, wetterte der gefeuerte VfB-Coach.

Daums Opfer

„Die Maßnahme war ein Alarmsignal vom Trainer an die Mannschaft“, sagt Karl Allgöwer, „seht her: Es kann jeden von euch erwischen. Nene war auch ein Opfer der Psycho-Spielchen von Daum. Er sprach kaum Deutsch und konnte sich nicht wehren.“ Dieter Hoeneß, VfB-Manager von 1990 bis 1995, erinnert sich: „Basualdo war ein lieber Junge, ein toller Fußballer. Allerdings passte die deutsche Mentalität nicht zu seinem Spiel. Er hat mir leidgetan.“ Für Mitgefühl gibt es in der Bundesliga aber keine Punkte.

Basualdo bekam noch ein paar Kurzeinsätze, darunter eine Hälfte gegen den FC Bayern, meist saß er aber mit traurigem Blick auf der Tribüne. Nach zwei Jahren (44 Spiele, zwei Tore) ging das Drama des Supertechnikers beim VfB zu Ende. Basualdo wechselte zurück in die Heimat. Mit Vélez Sarsfield und Boca Juniors gewann er den Copa Libertadores (1994/2000), die südamerikanische Champions League, sowie den Weltpokal. 2003 beendete er seine Karriere bei Villa Dálmine, dort, wo 1981 seine Profilaufbahn begonnen hatte. Seit diesem Jahr trainiert er den Erstligisten Atlético Cerro (Uruguay), seine sechste Station als Coach.

Von 2003 bis 2006 trug ein weiterer Argentinier das Trikot mit dem roten Brustring: Emanuel Centurion. Er kam nur sporadisch zum Einsatz. Nun tritt Santiago Ascacibar (20) das Erbe seiner Landsleute an, die beim VfB nicht glücklich wurden. Aber das ist, hoffentlich, eine ganz andere Geschichte.

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