„Die Angst sitzt uns in den Knochen“

Berlin – Wenn es nach den Zahlen der jüngsten Shell-Jugendstudie geht, wächst in Deutschland eine Bilderbuch-Generation heran: Sie ist leistungsbereit und zielorientiert, legt Wert auf eine gute Bildung, wünscht sich eine Familie und schätzt soziales Engagement. Die Jugendlichen sind weniger politikverdrossen als vor vier Jahren und erteilen extremistischen Parteien eine Absage. Doch zugleich ist die Jugend zutiefst verunsichert. Sie hat Angst vor Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen und Armut. Und es mag auch die Sorge mitschwingen, gar nicht gebraucht zu werden, sagte der Sozialforscher und Studienkoordinator Klaus Hurrelmann bei der Präsentation der Studie am Donnerstag in Berlin.

Für die Studie haben Forscher 2500 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 25 Jahren interviewt. Sie haben jedem 100 Fragen gestellt, zu ihrer Lebenssituation, ihren Glaubens- und Wertvorstellungen und ihrer Einstellung zur Politik. „Eine pragmatische Generation unter Druck“ nennen die Forscher diese Jugend nach der Analyse der Ergebnisse. „Die Angst sitzt uns in den Knochen. Viel mehr als in jeder Generation in der Nachkriegszeit“, hat ein 23-jähriger Student geantwortet.

Als „neue Bildungselite“ machte Hurrelmann junge Frauen aus. Beim Besuch höherer Schulen verbuchten Mädchen deutlich stärkere Zuwächse als Jungen. Da sich dies voraussichtlich auch in besseren Berufschancen der Frauen niederschlagen werde, könne künftig eher ein „Krieg der Geschlechter“ als ein „Krieg der Generationen“ drohen, so Hurrelmann. Die jungen Männer nämlich tickten anders, viele Jungs stiegen beim Wettlauf um Abi und Beziehung einfach aus. Sie igelten sich laut Studie möglichst lange im „Hotel Mama“ ein und klammerten sich an ein traditionelles Männerbild, das von der Realität längst überholt wurde.

„Die wollen nur noch Tischler mit Abi“

Das Auseinanderdriften der Generation sei auch an anderen Stellen spürbar, so Hurrelmann. Ostdeutsche Jugendliche,
besonders auf dem Land, glauben demnach, dass sie bei ihren Zukunftswünschen per se benachteiligt sind. Jedes dritte Kind aus einer Migrantenfamilie fühlt sich wegen seiner Herkunft diskriminiert. Und bereits die 17-jährigen ahnen, dass sie mit einer mäßigen Schulausbildung auf der Strecke bleiben werden. „Die wollen jetzt nur noch Tischler mit Abi“, hat ein Hauptschüler wütend beim Interview gesagt. „Das geht doch nicht.“

Verantwortlich dafür sei vor allem die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren oder gar nicht erst einen
angemessenen Job zu finden. Hatten 2002 noch 55 Prozent der befragten 12- bis 25-Jährigen diese Furcht geäußert, waren es in diesem Jahr 69 Prozent. Deutschland verfüge zwar über eine „bemerkenswerte, kreative junge Generation“. Diese treffe jedoch „auf Verhältnisse, die sie nicht zur Entfaltung bringt“, sagte Hurrelmann.

Der Experte bescheinigte der Jugend eine „erstaunlich pragmatische Grundhaltung“ sowie eine „sehr hohe“ Leistungsbereitschaft. Zu dieser Generation könne sich das Land „beglückwünschen“. Allerdings hingen die Bildungs- und damit Zukunftsaussichten weiterhin in erster Linie von der sozialen Herkunft ab. Der Erhebung zufolge stuften sich lediglich 38 Prozent der Hauptschüler, aber 57 Prozent der Gymnasiasten als „eher zuversichtlich“ ein.

Unzufriedenheit mit den persönlichen Perspektiven hat nach Ansicht Hurrelmanns auch Auswirkungen auf politische Entscheidungen der Jugendlichen. Zwar ordne sich der Durchschnitt leicht links der Mitte ein. Der Erfolg der rechtsextremen NPD bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern bei den Erstwählern sei damit weniger Ausdruck einer grundsätzlich
rechten Haltung. Vielmehr nutzten Parteien wie die NPD die soziale Unzufriedenheit der jungen Wähler aus, die sich von den etablierten Parteien nicht ernst genommen fühlten. Der Anteil der politisch Interessierten stieg leicht von 34 auf 39 Prozent. 1991 hatte er noch 57 Prozent betragen.

cpa/ddp/dpa

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