Geschlossene Heime: Letzter Ausweg Kinderknast?

Sie schwänzen monatelang die Schule, reißen immer wieder aus, leiden unter Impulskontrollstörungen, viele sind in Straftaten verwickelt. Solche Kinder stellen eine Gefahr für andere und sich selbst dar – und sind noch nicht einmal strafmündig. Ein geschlossenes Heim ist dann oft die letzte Chance.

Dass man bei „geschlossenes Heim“ an Gefängnis denkt, liegt nahe. Ähnlich wie dort wird nach dem Prinzip „individuelle Geschlossenheit“ gearbeitet. Das bedeutet, den Kindern wird Freiraum entzogen, an den sie entsprechend ihres Entwicklungsstandes langsam wieder herangeführt werden. Das Angebot richtet sich an Kinder, die sich jeder pädagogischen und erzieherischen Maßnahme entziehen. Die Wartelisten für solche Einrichtungen sind lang .

Diese Kinder sind oft mit Problemen groß geworden

Kinder, die in einem geschlossenen Heim untergebracht werden, haben massive Probleme. Sie sind häufig aggressiv, auch gegen sich selbst, verweigern alle Angebote, sind halt- und orientierungslos. Nicht immer liegen die Gründe in belastenden Erlebnissen wie (sexuellen) Gewalterfahrungen und Vernachlässigung. Aber auffallend oft.

Meist, aber nicht immer, sind die sozial benachteiligten Familien davon betroffen. Viele der Kinder kommen aus Familien, die mit Trennung, Krankheit, Armut und Sucht kämpfen. Die Eltern haben ihren Halt verloren und können auch den Kindern keinen mehr bieten. Den wenigsten der betroffenen Eltern ist ihr Kind egal. Sie wissen nur nicht, wie sie mit ihm umgehen müssen. Oder haben zu spät angefangen, darüber nachzudenken beziehungsweise sich Hilfe zu holen. Zu spät sind sie verzweifelt zu allen Maßnahmen bereit.

Ein geschlossenes Heim ist Freiheitsentzug

Geschlossene Heime sollen die Lücke zwischen Jugendamtshilfe und dem Jugendgefängnis füllen. Denn Grenzen lernen diese Kinder sonst oft erst kennen, wenn sie vor dem Jugendrichter stehen. Bei einem geschlossenen Heim handelt es sich um Freiheitsentzug und damit um einen Eingriff in die Grundrechte des Kindes. So wird es auch in Paragraph 1631b des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) klar benannt.

Damit es dazu kommt, muss die sorgeberechtigte Person bei einem Familienrichter einen Antrag stellen. Dieser besorgt dem Kind einen Verfahrenspfleger, der sich darum kümmern soll, dass seine Rechte eingehalten werden. Der Familienrichter holt dann ein Gutachten über die Situation ein und prüft, unter anderem gemeinsam mit dem Jugendamt, ob zum Schutz des Kindes und zum Schutz anderer eine solche Jugendhilfemaßnahme notwendig ist.

So zumindest sieht der Gesetzgeber den Vorgang vor. Wobei er aber auch die Möglichkeit gibt, die richterliche Genehmigung vorübergehend zu überspringen, wenn mit dem Aufschub eine Gefahr verbunden ist.

Viele dieser Kinder haben nie Struktur erfahren

Die Gruppen in geschlossenen Einrichtungen sind in der Regel relativ klein, die Anzahl der Betreuer dafür hoch. Die meisten Einrichtungen achten darauf, dass das Gefühl des Eingeschlossenseins nicht zu massiv wird.

Trotzdem muss das Kind im Vergleich zu seinem oft unreglementierten Leben vorher große Einschränkungen hinnehmen. Die meisten dieser Kinder sind es nicht gewöhnt, dass andere ihren Alltag bestimmen. Ein fester Tagesablauf, Regeln und Pflichten sollen Sicherheit geben. Genau wie das therapeutische Angebot und die Unterstützung in allen Belangen des täglichen Lebens. Da ist die Gegenwehr erst einmal groß.

Der Psychologe Michael Macsenaere untersucht und begleitet die Arbeit solcher Einrichtungen und erlebt dabei immer wieder zwei Phasen. „Die erste Phase ist genauso, wie man es erwartet: Die Kinder wehren sich massiv gegen das Eingesperrtsein, das geht bis zur Eskalation. Dieser Widerstand dauert zwischen einem und vier Monate. Wenn es gelingt, über diese Zeit hinauszukommen, lassen sich die Kinder und Jugendlichen auf die pädagogischen Angebote ein und dann ist es möglich, sie erfolgreich einzugliedern.“

Auch die Eltern müssen ihr Verhalten ändern

Kinder und Jugendliche, die im wahrsten Sinne des Wortes außer Rand und Band geraten sind, sollen in der geschlossenen Unterbringung lernen, mit Begrenzungen von außen umzugehen und wieder ein (Beziehungs-)Band zu anderen zu knüpfen. Im optimalen Fall zu den Eltern. Denn die Chance auf Verhaltensveränderung beim Kind hängt oft auch damit zusammen, dass die Eltern ihr Verhalten ändern und ihre Erziehung überdenken müssten.

Doch die meisten der Kinder, so der Leiter des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe in Mainz, kommen nicht zurück in ihre Familien. Sie gehen direkt in andere Heime oder Wohngruppen. Die geschlossene Unterbringung ist also Teil eines längeren Hilfe- und Entwicklungsprozesses. Die Kinder und Jugendlichen brauchen langfristige Begleitung und Anleitung, um ihr Leben so zu gestalten, dass sie es selbst in die Hand nehmen und als lebenswert betrachten können.

Geschlossene Heime in der Kritik

Überall, wo Menschen Macht haben, kann es aber auch zu einem Missbrauch derselben kommen. Bestes Beispiel sind die Haasenburgheime in Brandenburg, die 2013 geschlossen wurden. Die Kinder, die dort eingesperrt waren, haben Gewalt und Unterdrückung erlebt und sind heute traumatisierter als zuvor.

Das Schlimme: Zunächst hat ihnen niemand geglaubt, nicht einmal die Eltern. Zu oft sind sie in den Jahren vor der Unterbringung angelogen worden. „Ich konnte nicht glauben, dass alle Erzieher auf einen Jungen draufgehen. Ich wurde auch vom Jugendamt gewarnt, die Kinder würden Missstände erfinden“, sagt eine Mutter in einem Interview mit der „taz“. Es dauerte lange, bis Behörden in diesem Fall eingriffen.

Das Jugendamt steht in der Verantwortung

„Wissenschaftlich gesehen liegt bei der geschlossenen Unterbringung die Wahrscheinlichkeit, die Wiedereingliederung zu ermöglichen, über vergleichbaren Systemen und ist damit durchaus empfehlenswert“, so Macsenaere. Er betont aber, dass pädagogisch einwandfreies Arbeiten dafür die Voraussetzung ist und gerade bei geschlossenen Systemen strikte fachliche Kriterien herrschen müsse.

„Da hat das Jugendamt eine riesige Verantwortung. Die müssen da reingehen, hinter die Türen sehen, mit den Menschen reden. Solche Einrichtungen müssen transparent sein, einsehbar bis auf den Einzelfall.“ Damit so etwas wie in Brandenburg nicht mehr passieren kann. Denn dabei handele es sich nicht nur um ein Versagen der Einrichtungen sondern auch der Aufsichtsbehörden.

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