„Henning, das ist für dich“: Lea Meyer weint nach EM-Silber um verstorbenen Trainer

Trotz großer Erfolge in der Jugend steht Lea Meyer kurz davor, ihre Karriere zu beenden. Bei Henning von Papen findet die Leichtathletin den Spaß am Leistungssport wieder. Bei der EM in München läuft Meyer zur Silbermedaille – und dankt danach ihrem im Frühjahr gestorbenen Trainer.

Im bislang größten Moment ihrer Karriere denkt Lea Meyer an einen, der ganz bestimmt gerne dabei gewesen wäre, aber nicht mehr dabei sein kann. „Ich habe heute noch vor dem Rennen gedacht, Henning, das Rennen ist für dich“, sagt die 24-Jährige nach ihrem beeindruckenden Finallauf in München, der sie sensationell zur Vizeeuropameisterin über 3000 Meter Hindernis gemacht hat. Henning, das ist Henning von Papen, einer der einflussreichsten Trainer in der deutschen Leichtathletik, der Ende Januar im Alter von 69 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben war.

„Er hat einfach den Spaß in mir wieder geweckt“, erzählt Meyer anschließend im Fernsehinterview. Zuvor braucht sie beim Gedanken an ihren ehemaligen Trainer einen kurzen Moment des Durchatmens, um nicht von den Tränen überwältigt zu werden. „Du hast die Basis gelegt dafür, dass ich heute überhaupt hier stehe.“ Die Basis für diesen Lauf zur Silbermedaille, in dem sie ihre persönliche Bestzeit um etwas mehr als 10 Sekunden auf 9:15,35 Minuten verbessert. Die zahlreichen Rückschläge, die Meyer in den vergangenen Jahren erleben, verarbeiten und bewältigen musste, machen diese Leistung umso bemerkenswerter.

Den öffentlichkeitswirksamsten Rückschlag erleidet sie in Eugene, im Vorlauf der Weltmeisterschaften im Juli. Am Wassergraben stürzt sie, aber nicht irgendwie. „Das macht man einmal im Leben“, sagt sie nun in den Katakomben des Olympiastadions von 1972 mit einem Lächeln über den Moment, in dem sie vorwärts und kopfüber in den Wassergraben eintaucht. „Heute habe ich gezeigt, dass ich das auch alles kann, ohne irgendwelche großartigen Stunts auszupacken.“ Die Bilder ihres Sturzes waren zum Symbol des schwachen deutschen Abschneidens bei der WM geworden, mittlerweile scheint sie darüber lachen zu können.

Sicher auch, weil sie es längst gewohnt ist, Widerstände zu überwinden. „Den wichtigsten Schritt“, um die schmerzhafte Wasserlandung zu bewältigen, den habe sie „noch in Eugene gemacht, in dem ich einfach aufgestanden bin“, um weiterzulaufen. Auch über den Wassergraben, „einfach, damit kein Trauma im Kopf entsteht“. In dieser Resilienz sieht sie ihre „große Stärke, dass ich echt einige große Rückschläge dann doch schon kassieren musste, aber immer wieder zurückkommen konnte“. Denn eigentlich schien sich die heute 24-Jährige vor gar nicht allzu langer Zeit nach großen Erfolgen in den Nachwuchsklassen schon entschieden zu haben, mit dem Leistungssport aufzuhören.

Monatelang läuft Meyer keinen einzigen Meter

„Ich hatte nach der Jugend einfach keinen Bock mehr“, gibt sie Einblick in ihren Werdegang, der in Niedersachsen bei ihrem Heimatverein VfL Löningen und dessen Trainer Armin Beyer vielversprechend beginnt. Schon als 15-Jährige wird sie deutsche U18-Meisterin, als 16-Jährige gewinnt sie eine Medaille bei einer U20-EM. Dann folgt die große Veränderung, der Wechsel ins Sportinternat nach Hannover, verbunden mit „großen Hoffnungen“, wie sie einmal rückblickend sagte. Dort aber verliert sie den Spaß am Sport und „am Ende war sogar mein Abitur in Gefahr“. Meyer ist damals am Ende ihrer Kräfte angelangt, physisch wie psychisch.

„Zum Glück haben meine Eltern mich gedrängt, wieder zurückzukommen“, erzählte sie im Jahr 2019, indem sie sich nach Jahren der Stagnation erstmals wieder für ein internationales Großereignis, die U23-EM, qualifizieren konnte. Es ist auch das Jahr, in dem sie nach Köln geht, in die Trainingsgruppe von Henning von Papen. „Ich bin damals zum Henning gegangen“, sagt sie nach ihrem Triumph in München, „und hab gesagt: ‚Henning ich habe wieder Lust, zu laufen, ich komme wieder zum Training.“

Davor war das Ende der eigentlich so verheißungsvollen Karriere schon ganz nah gewesen: „Ich hatte so für drei, vier Monate die Laufschuhe komplett an den Nagel gehängt“, erzählt Meyer, die in Köln neben dem Leistungssport Grundschullehramt studiert. Von Papen jedoch gelingt es, das große Talent vom Neustart zu überzeugen. „Er hat den Spaß in mir wieder geweckt“ und ihr gemeinsam mit der Trainingsgruppe auch „wieder gezeigt, was das Schöne am Sport ist“.

Unter der Anleitung von Papens läuft sie wieder Bestzeiten, qualifiziert sich im vergangenen Jahr für die Olympischen Spiele in Tokio, betritt dort im Vorlauf erstmals die ganz große Bühne der Leichtathletik, wenn auch vor leeren Rängen. „Ich habe jetzt das große Privileg“, sagt sie in München, die Vorzüge des Sports zu genießen, die Welt zu sehen, gegen Spitzenathletinnen anzutreten. Und eben, wie in München, „auf so einer Bühne vor so einem Publikum zu laufen“.

Nach 2000 Metern im EM-Finale wird ihr etwas klar

Wobei nach dem Rückschlag von Eugene lange fraglich ist, ob Meyer bei der Heim-EM überhaupt dabei sein kann. Auf dem Weg ins Vorbereitungstrainingslager in St. Moritz infiziert sie sich mit dem Coronavirus, kann von den drei Wochen in der Schweiz nur eine einzige trainieren. Deshalb setzt sie sich zunächst auch nur das Ziel, ins Finale einzuziehen, was ihr mit dem Vorlaufsieg am Donnerstag souverän gelingt.

„Dass es jetzt Silber geworden ist“, sagt sie in der Mixed Zone des Olympiastadions, „das war nicht mal annähernd in meinem Fokus.“ Zwar habe sie vor der WM sehr gut trainiert und habe auch die Zuversicht in sich getragen, dass die Form nach der Corona-Infektion wiederkommen könnte. Realistisch betrachtet habe sie sich jedoch eher irgendwo zwischen Platz drei und Platz zwölf gesehen. Im letzten Finale des vorletzten EM-Tages aber geht sie das Rennen mutig an, geht das Tempo mit, das vor allem die neue Europameisterin Luiza Gega aus Albanien und die am Ende drittplatzierte Britin Elizabeth Bird vorgeben.

Dabei ist sie zeitweise selbst überrascht, wie gut die Beine sie tragen. „Ich habe zwischendurch auf die Uhr geguckt und gemerkt: ‚hey, das ist gerade ganz schön zügig'“. Allerdings habe sie sich vorher auch einen schnellen Endlauf gewünscht und den dann eben angenommen und die Fähigkeit, mitzuhalten, habe sie sich schließlich mit konsequentem Training auch erarbeitet. „Man ist nicht aus Glück da, sondern aus einem Grund.“

Meter um Meter holt sie in der Schlussphase auf, nachdem Gega und Bird zwischenzeitlich ein Stückchen vorauslaufen. Als es auf den letzten Kilometer gegangen sei, sagt Meyer, habe sie gedacht: „Lea, das ist dein Rennen gerade.“ Ein Rennen, das für Meyer den vorläufigen Höhepunkt eines ereignisreichen Weges bedeutet – und nach dem sie ihrem Mentor Henning von Papen dankt, den sie an diesem großen Tag so gerne an ihrer Seite gehabt hätte und dessen Fehlen ihr die Tränen in die Augen treibt.

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