Idealisten und ihr Traum vom besseren Leben

Idealisten und ihr Traum vom besseren Leben

Mit größter Freude säge ich den Ast ab, auf dem ich sitze“, sagt Tobi Rosswog, der vor eineinhalb Jahren das Liebermenschhaus in Mainz ins Leben gerufen hat, „denn ich möchte nicht oben sitzen, wenn andere unten stehen und ihn stützen.“ Die globale soziale Ungerechtigkeit, auf die er anspielt, ist den meisten bekannt, doch wirklich bewusst machen sie sich die wenigsten. Der Kapitalismus treibe Menschen dazu an, egoistisch zu handeln. So würden im „Hamsterrad der Selbstverwirklichung“ diejenigen ökonomisch belohnt, die andere ausbeuten, indem sie unfair produzierte Waren kaufen oder der Umwelt schaden, indem sie Flugzeuge benutzen. Sein Ausweg aus diesem Dilemma: „Radikale Suffizienz.“ Der Minimalist macht sich bewusst, was er wirklich zum Leben braucht und worauf er verzichten kann. Rosswog lebt vegan, ökologisch, drogenfrei und weitgehend geldfrei.

Der Gemeinschaftskleiderschrank steht allen offen

Diesen Lebensstil setzt er zusammen mit zehn anderen Weltverbesserern im Liebermenschhaus um, einem Ort, der ihnen als Selbstverwirklichungs- und Rückzugsraum dient. Hier wird so nachhaltig gelebt wie möglich. Lebensmittel werden beim Supermarkt in der Nähe vor der Mülltonne gerettet und in der „Mampfkammer“ gelagert, in der es fast aussieht wie in einem Unverpackt-Laden. Eimer mit Getreide und anderen Nahrungsmitteln reihen sich aneinander, Obst und Gemüse lagern in Kisten. Teebeutel entziehen der Luft die Feuchtigkeit. Die Lebensmittel sind wie so vieles hier Gemeingut, fast immer kann man sich bei den Köstlichkeiten bedienen, die jemand gekocht oder gebacken hat und die hübsch angerichtet in der Küche stehen. Die Miete wird in der Kommune solidarisch geteilt, der Gemeinschaftskleiderschrank steht allen offen.

Auch Geld wird gespendet

Die wenigsten der Bewohner, die zwischen vier Monate und 30 Jahre alt sind, gehen einer Erwerbsarbeit nach. Viel Geld brauchen sie nicht, da sie von Spenden leben, all den Dingen, die andere gerade nicht brauchen. Auch Geld wird gespendet; denn, wenn man es sich einmal überlege, liege auch dieses oft einfach nur auf der Bank und werde gerade nicht gebraucht. Durch Vorträge und Konferenzen wird ein wenig Geld eingenommen, frei nach dem Motto: „Bildung darf keine Ware sein, aber wenn du Knatze hast, hau rein!“ Die meisten hier motivieren ihr Schaffen lieber intrinsisch, als fremdbestimmt zu arbeiten. Tobi Rosswog steht um 5.30 Uhr auf, um „zu wuppen“. Er reist durch ganz Deutschland, um Vorträge zu halten, Workshops zu veranstalten und andere zum Andersdenken und Andershandeln zu motivieren.

Man kann ihr angstfrei folgen, sagt der Aktivist

Er ist überzeugt, dass sich in unserer Gesellschaft alles zum Besseren wenden wird. Er glaubt daran, dass es keine soziale Ungerechtigkeit mehr geben und wir nicht mehr voneinander, sondern mit- und nebeneinander leben werden. Dass wir selbstbestimmt „arbeiten“ und die Früchte dieser Arbeit unseren Mitmenschen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, zur Verfügung stellen werden – aus purer Menschlichkeit heraus. Der Aktivist mit den schulterlangen Locken lebt vor, dass es auch anders geht, als wir es kennen, und dass man dieser Utopie angstfrei folgen kann. Denn eine Utopie sei es, von der er träume, gesteht er ein. Im gleichen Atemzug zitiert er den Dichter Fernando Birri: „Die Utopie, sie steht am Horizont. Ich bewege mich zwei Schritte auf sie zu. Und sie entfernt sich um zwei Schritte. Ich mache weitere zehn Schritte. Und sie entfernt sich um zehn Schritte. Wofür ist sie also da, die Utopie? Dafür ist sie da: Um zu gehen!“ Besucher sind gerne gesehen. Die monatliche Liebermenschsause bringt Freidenker von überall her zusammen bei Essen, Musik und einer Atmosphäre voller gegenseitiger Anerkennung und Bestätigung.

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