Kampf gegen die Schuldenbremse: „Der Schlüssel für die Interessen junger Menschen“

Staatsschulden sind eine Belastung für künftige Generationen – und deshalb muss der Staat sparen. Dieses Narrativ bringt Carl Mühlbach und seine Mitstreiter von Fiscal Future auf die Palme. Sie fordern gerade im Namen der Jugend mehr Ausgaben – mit wirtschaftswissenschaftlichen Argumenten.

Staatsschulden sind eine Belastung für künftige Generationen – und deshalb muss der Staat sparen. Dieses Narrativ bringt Carl Mühlbach und seine Mitstreiter von Fiscal Future auf die Palme. Sie fordern gerade im Namen der Jugend mehr Ausgaben – mit wirtschaftswissenschaftlichen Argumenten.

ntv.de: Viele junge Menschen gehen in den vergangenen Jahren schon auf die Straße, weil sie sich Sorgen machen, wie Politiker heute ihre Zukunft beeinflussen, etwa durch eine verfehlte Klimapolitik. Wie kamen Sie dazu, sich ausgerechnet mit Fiskalpolitik zu beschäftigen?

Carl Mühlbach: Politisch engagiert war ich schon früher, zum Beispiel als Schülervertreter in Bremen. Damals haben wir gegen harte Sparmaßnahmen im Bildungsbereich demonstriert. Später erst habe ich erfahren, dass diese Kürzungen auf die Einführung der Schuldenbremse zurückzuführen waren. Gezielt aktiv geworden bin ich dann in der Anfangsphase der Corona-Pandemie. Als Volkswirtschaftsstudent hat mich die große Diskrepanz zwischen dem ökonomischen Forschungsstand und der öffentlichen Debatte zum Thema Schulden gestört. Wenn es etwa hieß, dass man die Neuverschuldung aufgrund der Corona-Hilfspakete bald zurückzahlen müsse. Ebenso irreführend ist der Mythos, dass sich Deutschland nur aufgrund der Schwarzen Null der Vorjahre die umfangreichen Corona-Hilfen leisten konnte. Um darüber aufzuklären, und die Debatte zu versachlichen, habe ich Fiscal Future ins Leben gerufen. Inzwischen sind wir circa 70 Menschen, die meisten Studierende. Wir haben eine Website gelauncht, übersetzen den wissenschaftlichen Erkenntnisstand und sind auf Twitter und Instagram aktiv.

Was ist denn Ihrer Ansicht nach das Problem mit sparsamer Haushaltspolitik? Die wird doch – so das gängige Narrativ in Deutschland – gerade für die junge Generation gemacht, um die nicht in Zukunft mit einem hohen Schuldenberg zu belasten.

Ökonomisch ist das Unsinn. In der öffentlichen Debatte werden die Kosten von Staatsschulden systematisch überschätzt, während die verheerenden Folgen von nicht getätigten Investitionen unterschätzt werden. Der Staat muss, anders als oft suggeriert wird, nicht sparen, um seine Schulden zurückzuzahlen, sondern kann alte Staatsanleihen nach deren Ablauf in der Regel durch neue ersetzen. Ganz im Gegenteil: Wenn die Staatsschulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung konstant bleiben sollen – eine gängige Definition finanzpolitischer Nachhaltigkeit – muss er bei einer wachsenden Wirtschaft sogar ständig neue Schulden aufnehmen. Eine Rückzahlung aller Staatsschulden hingegen, wäre nicht nur unnötig, sondern brandgefährlich, denn Staatsanleihen spielen eine wichtige Rolle im Wirtschafts- und Finanzsystem. Vor allem aber sieht man doch, welche Folgen die bisherige Sparpolitik hatte: Bei der Digitalisierung droht Deutschland, immer weiter abgehängt zu werden. In Bildung und Infrastruktur muss dringend wieder mehr Geld investiert werden – und natürlich für den Kampf gegen den Klimawandel. Die an diesem Spar-Narrativ ausgerichtete Politik mit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse verhindert, dass für solche wichtigen Zukunftsinvestitionen genug Geld zur Verfügung steht. Dabei gäbe es ökonomisch betrachtet genügend Spielraum.S

Sie berufen sich auf den Stand der Wirtschaftswissenschaften. Es gibt allerdings auch Ökonomen, die das ganz anders sehen. Gerade in der vergangenen Woche haben sich immerhin zwei der vier Wirtschaftsweisen vehement für den Erhalt der Schuldenbremse ausgesprochen. Kommen Sie da nicht manchmal ins Zweifeln an ihrer Position?

Es stimmt, dass es auch andere Positionen gibt. Es gibt auch immer noch Ökonomen, die glauben, für den Klimaschutz seien überhaupt keine zusätzlichen staatlichen Investitionen notwendig und es handle sich nur um ein Regulierungsproblem. Doch das sind Positionen, die selbst in Deutschland in den Wirtschaftswissenschaften in die Minderheit geraten. Und global gesehen ist das bereits eine Außenseitermeinung.

Junge Menschen beschäftigen sich ganz offensichtlich mit Fragen wie der Rettung der Erde vor dem Klimawandel, auch mit Themen wie sozialer Gerechtigkeit oder der Flüchtlingskrise. Dass sie sich für die ökonomische Theorie von Staatsfinanzen interessieren, scheint eher ungewöhnlich. Auf welches Echo stoßen Sie, vor allem bei Menschen, die nicht gerade VWL studieren?

Wir sind aktuell rund 70 Aktive. Auch wenn das eine ganz andere Dimension als beispielsweise Fridays for Future ist, hat mich das Interesse positiv überrascht. Insbesondere, da wir nicht nur Wirtschaftsstudenten sind, sondern diverse Hintergründe haben. Fiscal Future ist die erste Organisation, die jungen Menschen die Möglichkeit bietet, sich dezidiert finanzpolitisch zu engagieren. Und Finanzpolitik ist der Schlüssel für die Interessen von uns jungen Menschen, sei es beim Klima, der Bildung oder sozialer Gerechtigkeit.

Haben Sie, vergleichbar mit den CO2-Zielen der Klimabewegung, konkrete Ziele oder Forderungen, etwa welche staatlichen Investitionen wann erreicht werden sollen?

Wir wollen, dass die Schuldenbremse ersetzt oder modernisiert wird, damit ausreichend Investitionen möglich werden. Es ist enttäuschend, dass dies im Rahmen der aktuellen Koalitionsverhandlungen nicht passiert ist. Was als Ersatz an Investitionen auf anderem Wege vorgeschlagen wird, ist für uns eher ein Trost-, nicht der Hauptpreis. Aber wir setzen uns weiter für eine Reform der Schuldenbremse ein. Jedes Jahr, in dem Deutschland nicht ausreichend in Klimaschutz, Bildung, Digitalisierung usw. investiert, ist ein verlorenes Jahr.

Wie kämpft Fiscal Future denn für dieses Ziel? Dürfen wir Großdemonstrationen gegen die Schuldenbremse erwarten?

Nein, für Großdemos im Stil von Friday for Future eignet sich das Thema wohl kaum. Kleinere Protestaktionen, z.B. vor dem Finanzministerium, könnte ich mir durchaus vorstellen. Vor allem aber sehen wir unsere Aufgabe darin, uns selbst und andere zu informieren. Wir beteiligen uns an Diskussionen, organisieren Veranstaltungen und sprechen mit Politikern, Ökonomen und Jugendorganisationen. Außerdem erhalten wir zunehmend die Rückmeldung, dass sich Finanzpolitiker mithilfe unserer Internetseite auf Debatten zum Thema Staatsverschuldung vorbereiten, das ermutigt uns. Ich glaube, wir erzielen schon eine – wenn auch noch kleine – Wirkung.

Mit Carl Mühlbach sprach Max Borowski.

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