Kindliche Sexualität: Den eigenen Körper „begreifen“

Prinzipiell sind wir ja offen. Völlig entspannt, was den Umgang mit dem eigenen Körper und Sexualität angeht. Wenn aber Sohnemann in aller Öffentlichkeit die Hand in die Hose steckt oder die kleine Tochter sich schon leicht schwitzend auf dem Bussitz hin- und herschiebt, dann ist es mit der Coolness schnell vorbei.

Für Kinder sind die Geschlechtsteile ein Körperteil wie jeder andere

Der Mensch ist ein sinnliches Wesen. Schon zu Beginn des Lebens erfahren wir unsere Umwelt durch unseren Körper. Im Mutterleib und auch danach: Wir werden gestillt, wir rollen und robben, wir spüren und spüren nach, werden gekitzelt, gestreichelt und geküsst und erfahren die Welt um uns herum, indem wir alles in den Mund nehmen und im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen versuchen. Das gilt für unsere Füße genauso wie für unsere Geschlechtsteile.

Infantile Sexualität bestimmt das spätere Körperbewusstsein

Meine Nase, meine Arme, meine Zehen und das da unten – unsere Gesellschaft ist in punkto natürlichem Umgang mit Geschlechtsteilen und Sexualität ziemlich zwiegespalten. Wir wissen, dass die Berührung der eigenen Genitalien etwas völlig Natürliches ist – auch und gerade bei einem Kind. Körpererfahrung gehört zur kindlichen Entwicklung von Körpergefühl und eines „Selbst-Bewusstseins“ dazu.

Ob wir uns später selbst mögen, wie wir unsere eigene Sexualität erleben und ob wir sie als positiv empfinden, hängt stark auch mit den Erfahrungen von Körperlichkeit zusammen, die wir in der Kindheit machen dürfen. „Die Grenzen zwischen dem Bedürfnis nach körperlichem Kontakt und sexuellen Gefühlen ist fließend“, so Klaus Seifried vom Bundesverband Deutscher Psychologen. „Genau wie die Grenze zwischen Neugierde, Explorationsdrang, Erkundung der Umwelt und Erregung.“

Es kann peinlich werden

Das ist die eine Seite, die andere aber ist unser Schamgefühl: Die Familie hat Besuch, man sitzt gemeinsam zusammen und plötzlich können alle beobachten, wie sich die dreijährige Tochter mit Genuss an der Sofalehne reibt und mit leicht abwesendem Blick stöhnt. Eine Situation, in der die wenigsten Eltern gelassen bleiben können. Genauso wenig, wie wenn man von anderen Eltern oder Erziehern darauf angesprochen wird, dass diese es schon ein bisschen befremdlich fänden, dass der Sohnemann dauernd die Hand in der Hose habe und kräftig rubbele.

Barbara Langzeuner ist Leiterin eines Nürnberger Kindergartens und weiß, dass das Thema in unserer Gesellschaft missverstanden wird und Kinder daher Begleitung brauchen: „In der Öffentlichkeit nehme ich Kontakt zu dem Kind auf, nehme es zum Beispiel an die Hand und hole es so aus der Situation. Im geschützten Raum – wie im Kindergarten – schreite ich nicht ein. Aber ich behalte die Situation aus der Ferne im Auge und suche bei Bedarf das Gespräch.“

Kinder sind neugierig auf den eigenen Körper

Auch, wenn die Eltern bisweilen vor Scham im Boden versinken möchten: Ihre Kinder denken sich gar nichts dabei, wenn sie sich gezielt an Kitzler oder Penis reiben. Gerade in den ersten Lebensjahren sind sie neugierig auf den eigenen Körper und wenn mit dem Sich-selbst-Streicheln schöne Gefühle verbunden sind, dann möchten sie das wiederholen. Dabei ist die Sexualität kleiner Kinder eine ganz andere als die von Teenagern oder Erwachsenen. Masturbieren, Onanieren, Selbstbefriedigung sind auf Lustgewinn ausgerichtet mit dem Ziel eines Orgasmus. Das Kind aber spielt einfach gedankenverloren an sich herum und genießt.

Kleinkinder unterscheiden nicht zwischen Zärtlichkeit, Sinnlichkeit und Sexualität. Für sie sind schöne Gefühle das Entscheidende. Wir Erwachsenen reagieren darauf irritiert, weil die Bilder, die wir dazu im Kopf haben, so gar nicht zu Kindern passen und auch nicht passen dürfen. Der Begriff Sexualität in Verbindung mit Kindern ist zu Recht ein Tabu. Das macht es zwar leichter, notwendige Grenzen einzuhalten, aber das macht Kinder nicht zu asexuellen Wesen. Und es macht es schwieriger, richtig mit kindlicher Sexualität umzugehen.

Liebevoll aber verantwortungsbewusst begleiten

Die richtige Unterstützung bei der psychosexuellen Entwicklung hängt stark ab von eigenen Erfahrungen, von eigenen Schamgrenzen und natürlich von der Individualität des Kindes. Bei manchen Kindern ist es gar kein Thema; andere können von der Selbstberührung nicht genug bekommen. Dann kann es entscheidend sein, wie die Umgebung reagiert, ob die Kinder in der Erkundung des eigenen Körpers bestärkt oder begrenzt werden, ob die damit verbundenen Gefühle toleriert werden oder ob es sofort „Pfuis“ und „Igitts“ regnet.

Dein Körper gehört dir, deine Gefühle sind wichtig…

Wenn Kinder sich selbst berühren, kann das nicht nur Langeweile vertreiben, sondern auch Spannungen abbauen. Daher kommt es auch relativ häufig in Situationen vor, in denen sie sich unsicher fühlen. Es ist nichts, wofür man sich als Mama oder Papa schämen oder das einen beunruhigen muss.

„Auf keinen Fall“, so Barbara Langzeuner, „sollte man schimpfen oder empört reagieren.“ Denn das angeekelte Verhalten verwirrt das Kind und führt dazu, dass es ein schlechtes Gewissen bei etwas empfindet, das völlig natürlich ist. Das bestätigt auch der Psychologe: „Wenn Eltern negativ, empört oder angeekelt reagieren, sagt dies eher etwas aus über die Verdrängung oder Leugnung der eigenen sexuellen Bedürfnisse. Das Kind wird durch solche eine Reaktion in die Scham, in das Verstecken gedrängt.“

…aber nicht überall ist Raum dafür

Trotzdem ist es wichtig, dass das Kind von klein auf lernt, dass manches privat ist – das Kind ablenken ist in Momenten, in denen es peinlich werden kann, also völlig in Ordnung. Auch, weil es anderen unangenehm sein kann und es nun mal nicht üblich ist, an seinem Penis herumzuspielen oder den Rock zu heben und sich an der Scheide zu streicheln während andere dabei sind. Auch dann nicht, wenn es gerade so schön kitzelt.

Der bekannte dänische Familientherapeut Jesper Juul rät, dem Kind Folgendes zu sagen: „Es ist für mich in Ordnung, wenn du das zuhause machst, aber nicht in der Öffentlichkeit.“ Und dazu gehört ein geschützter Raum, in den auch die Eltern nicht einfach reinplatzen. Kindgerecht erklären kann man das zum Beispiel, indem man mit Vergleichen arbeitet. Die Küche ist zum Kochen da, zum Waschen das Badezimmer und zum Spielen, auch mit sich selbst, das Kinderzimmer. Im Rahmen eines solchen Gespräches ist es wichtig, mit Themen wie Scham offen und kindgerecht umzugehen und freundlich, aber bestimmt klarzumachen, dass keine Gegenstände in irgendwelche Körperöffnungen gesteckt werden. Nicht in die Ohren, aber auch nicht in die Scheide. Nicht bei anderen und auch nicht bei sich selbst.

Die Vermittlung angemessener Sprache kann schützen

Die Geschlechtsteile gehören wie jeder andere Körperteil zum Ganzen. Gehen Eltern damit offen um und benennen sie, geben sie dem Kind auch Worte für den Fall eines Missbrauchs. Nicht unerheblich, wenn man bedenkt, dass jedes vierte Mädchen und jeder siebte Junge sexuellen Missbrauch erleben muss. Stark sexualisiertes Verhalten und ein nicht dem Alter angemessenes Verhalten können Alarmsignale dafür sein.

Klaus Seifried warnt aber zur Vorsicht bei der Interpretation: „Wenn Lehrkräfte oder Erzieher hier einen Verdacht haben, sollten sie sich von Experten, zum Beispiel einem Schulpsychologen, beraten lassen und den Fall besprechen, bevor sie das Kind oder die Eltern ansprechen.“

Scham ist ein Hüter der Grenzen

Kleine Kinder sind neugierig. Auf sich selbst, aber auch auf andere. Selbstbefriedigung gehört genauso zur gesunden psychosexuellen Entwicklung wie Doktorspiele. Und auch das Interesse für die Körper der Eltern oder Geschwister, die so ganz anders aussehen als der eigene. Scham kennen sie dabei vor dem vierten Lebensjahr nicht.

Wenn die Kinder also die Geschlechtsteile der anderen Familienmitglieder berühren wollen, ist es wichtig, genau auf das eigene Schamgefühl zu achten und ganz klar und ruhig zu sagen, was man nicht möchte. Das verstehen bereits die ganz Kleinen und lernen dabei wie von selbst, dass jeder das Recht hat, nein zu sagen.

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