Palliativstation, Stuttgart


Ein typischer weißer Krankenhausflur im zweiten Stockwerk des Diakonie-Klinikums Stuttgart. Doch wenn man weitergeht, wird die Atmosphäre plötzlich anders. Bilder hängen an den Wänden, Papierblumen schmücken die Fenster, die Bettwäsche ist nicht klinisch weiß. Hier ist vieles sehr farbenfroh. Bei der Anmeldung als Patient für diese Station bekommt man einen auffällig grünen Papierbogen ausgehändigt. Auf ihm kann man außer den normalerweise gefragten Angaben zu den persönlichen Daten auch Hobbys und Angaben zum eigenen Umfeld machen. Ein breiter blauer Strich auf dem Boden des Krankenhausflurs erklärt, wieso das so ist: „Palliativstation“ steht dort. Die Station wurde im November 2011 mit den ersten vier Zimmern eingerichtet. Heute hat sie acht Zimmer mit zehn Betten. Die Patienten hier können von ihrer Krankheit nicht mehr geheilt werden. Viele sind Tumorpatienten. Obwohl sie unheilbar krank sind, sterben sie nicht zwingend auf der Palliativstation. Einige gehen nach Hause, sie wollen in ihr gewohntes Umfeld. Auf der Station bekommen sie Schmerzmittel oder Chemotherapien. Alle Therapien hier sind zum Lindern von Beschwerden da – nicht mehr zum Heilen. Die Lebensqualität der Patienten soll verbessert und möglichst lange erhalten werden.

Das bekommen, was guttut

„Manche Patienten kommen immer wieder für ein paar Tage über mehrere Jahre hinweg für bestimmte Behandlungen auf die Palliativstation“, erzählt die Krankenschwester Waltraud Schühle. „Die begleiten wir dann über eine sehr lange Zeit, und es wächst eine Beziehung.“ Aber das Verhalten der Patienten ist unterschiedlich. Manche wollen einfach ihre Ruhe, manche wollen sogar ihre Familie nicht mehr sehen. Andere sind fröhlich und lachen viel. Ihnen merkt man ihre schwere Erkrankung unter Umständen gar nicht an. „Das hängt oft von der Trauerphase ab, in der sich die Menschen befinden“, sagt der pflegerische Bereichsleiter und Mitgründer der Palliativstation Martin Löw. Aber das ist hier so in Ordnung. Jeder soll die Unterstützung bekommen, die ihm guttut.

An jedem Wochentag werden die Patienten vom gesamten Team, das aus Ärzten, Pflegepersonal, Sozialarbeitern, Psychoonkologen, Seelsorgern und Krankengymnasten besteht, durchgesprochen. Donnerstags gibt es sogar eine große Besprechung. Die Fortschritte und Therapien werden diskutiert. Für alle mit der Pflege und Sorge befassten Menschen ist es schön mit anzusehen, wenn die Menschen keine Schmerzen mehr haben oder im Rollstuhl in den Garten gefahren werden können. Wenn ein Patient entlassen werden soll, wird der Mensch in seiner häuslichen Situation betrachtet, nicht nur aus ärztlicher Sicht. Eine Sozialarbeiterin spricht mit jedem Patienten. Es geht um finanzielle Aspekte, möglicherweise den Antrag einer Pflegestufe bei der Krankenkasse oder eine Rehabilitation. Bei pflegebedürftigen Menschen wird die Sozialstation oder die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) eingeschaltet. Waltraud Schühle gefällt das Arbeiten im multiprofessionellen Team. „So kann man den Patienten aus verschiedenen Perspektiven betrachten und ihm helfen. Das bereichert.“

Selbst gemachtes Eis von jungen Helfern

Die Angehörigen auf der Palliativstation werden in die Behandlung einbezogen, wenn der Patient es möchte. Die Therapien allein bestimmen aber nicht die Arbeit hier. Das Team nimmt sich Zeit für die Patienten, spricht mit ihnen. Eine Ausnahme im sonst so stressigen Krankenhausalltag. Doch hier auf der Palliativstation möchte man sich mit den Patienten unterhalten, für sie da sein, dann, wenn sie es brauchen, und nicht nur dann, wenn irgendwann einmal Zeit übrig ist. Schwester Waltraud spielt manchmal auf dem Klavier in der Ecke. Da verschwimmen dann private und professionelle Talente der Menschen, die hier arbeiten. Das Team arbeitet aber nicht nur für die seelische Unterstützung der Patienten. Auch handfeste Pflege wird hier geleistet, manchmal in überraschender Form: Die Absolventen eines Freiwilligen Sozialen Jahrs machen selbst gemachtes Wassereis für die Patienten. Gegen Ende des Lebens essen die meisten Menschen weniger, irgendwann oft nur noch Flüssiges, dann häufig gar nichts mehr. Da erfrischt das Eis die trockenen Schleimhäute und beugt weiteren Beschwerden vor. Einfallsreich ist man hier, Pflege ist keine Fließbandarbeit. Im Flur fällt der Blick auf einen kleinen Altar. Auf diesem wird eine Kerze angezündet, wenn ein Patient gestorben ist. Auch bei der Donnerstagsbesprechung brennt dann eine Kerze, und es wird an diesen Menschen gedacht. Jeder aus dem Team kann dann etwas sagen, zum Beispiel, was er mit dem Patienten erlebt hat, was diesen Menschen aus seiner Sicht ausgemacht hat. Dem Abschiednehmen wird überhaupt viel Raum gegeben. So dürfen die Angehörigen sich in Ruhe verabschieden. Ihnen wird so viel Zeit gelassen, wie sie brauchen. Der Verstorbene bleibt dafür länger hier als in normalen Stationen, wo das Bett meist schnell wieder belegt werden muss. Oft gibt es auch eine Aussegnung der Toten, an der Angehörige und das Personal teilnehmen können.

Trotz der vielen belastenden Situationen vermittelt die Palliativstation des Diakonie-Klinikums Stuttgart keine gedrückte oder traurige Stimmung. Eher die Atmosphäre eines ruhigen, stillen Zuhauses. Während unseres Besuchs hört man mehrmals, dass hier auch herzhaft gelacht wird. Martin Löw sagt, dass man genau das braucht, um hier zu arbeiten, „Freude am Leben“.

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