Perfekte Dürre

Grazil laufen die Mädchen über den Catwalk, keine Delle ist an den Oberschenkeln auszumachen, kein überflüssiges Schwabbel-Pfündchen sitzt an den Hüften: Zum siebten Mal sucht Germany’s Next Topmodel“ (GNTM). Schon jetzt dürfte aber feststehen: Mädchen mit Makeln haben keine Chance, Normalgewicht ist Rausschmiss-Faktor.

Doch die etablierte Klum-Show bekommt Konkurrenz: Ab Dienstag gehen auch Eva Padberg und Karolina Kurkova für Beim offenen Casting in Hürth wurde schon ein Mädchen mit Kleidergröße 36 wieder nach Hause geschickt – weil sie auf den internationalen Laufstegen wohl keine Chance hätte, urteilte die Jury.

Ein fatales Zeichen an die jungen Mädchen vor dem Fernseher. Die nehmen sich die Modelsuche offenbar stärker zum Vorbild als wünschenswert wäre: „Dann denk‘ ich mir meistens, warum ich nicht so dünn bin“, beschreibt etwa ein 15-jähriges Mädchen seine Gefühle während der ProSieben-Sendung. Ein elfjähriges Mädchen sagt, dass es seinen Bauch und seine Beine zu dick finde, seitdem es die Show mit Heidi Klum sehe – schließlich müssten Topmodels ja schlank sein.

Andere finden nicht nur vermeintliche Fehler an sich, sondern wollen diese auch gleich ausmerzen: „Alle, die da sind, haben so eine tolle Figur, das gibt mir Anreize, abzunehmen“, sagt beispielsweise eine 14 Jahre alte GNTM-Seherin. „Alle wollen Modelmaße“, bringt es eine 13-Jährige auf den Punkt.

Bauch, Beine, Po – eine einzige Problemzone

Die Schilderungen der Mädchen sind Teil der Studie „Castingshows und ihre Bedeutung für Kinder und Jugendliche“, die vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) des Bayerischen Rundfunks in Auftrag gegeben wurde. Knapp 1200 Kinder und Jugendliche zwischen neun und 21 Jahren wurden dafür im Sommer 2009 persönlich und schriftlich, qualitativ und standardisiert befragt.

Die These vom „schlechten Einfluss“ von Model-Sendungen auf das Selbstbild der jungen Zielgruppe ist freilich nicht neu – doch bieten die Befunde der Autorinnen Maya Götze und Johanna Gather nun zum ersten Mal eine handfeste Diskussionsgrundlage. Die ist im Januar zusammen mit weiteren Untersuchungen im Band „Auf Augenhöhe? Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen“ erschienen, das von Daniel Hajok, Olaf Selg und Achim Hackenberg herausgegeben wird.

Viele der Befragten beschrieben darin Gefühle gegenüber den Model-Anwärterinnen, die zwischen Bewunderung und Neid schwanken. Zudem veranlasse der GNTM-Konsum die Jugendlichen dazu, weniger zu essen und mehr Sport zu treiben. Doch nicht nur die älteren Jugendlichen stellen ihren eigenen Körper den medial vermittelten kritisch prüfend gegenüber. „Bereits in der 5. Klasse formulieren Mädchen den Wunsch, ähnliche Körper wie die der gezeigten Models zu haben“, heißt es in der Studie.

Bei den Probanden zeige sich vor allem ein Hang zur Professionalisierung des Körpers, sagt die Wissenschaftlerin Götz. Eine austrainierte Seitenlinie, schmeichelndes Licht und eine vorteilhafte Pose sind demnach für die Jugendlichen fast schon ein „Muss“ bei der Selbstinszenierung. Diese kritische Haltung zum eigenen Körper deckt sich mit den Ergebnissen der „Dr.-Sommer-Studie“ von 2009. Obwohl rund 80 Prozent der Mädchen normalgewichtig sind, ist über die Hälfte mit ihrem Aussehen, vor allem ihrem Gewicht, nicht zufrieden. Besondere Steigerungen finden sich beim Wunsch, noch schlanker werden zu wollen und beim Traum von einem „flachen Bauch“ sowie von Veränderungen an Beinen und Gesicht.

Model-Wahn bald im Doppelpack

Nun ist die Klum-Show beileibe nicht das einzige mediale Produkt, das Modelmaße als besonders erstrebenswert inszeniert. Doch gerade die GNTM-Zuschauer neigen laut Studie häufiger zur Idealisierung der professionell inszenierten Size-Zero-Frau als Jugendliche, die speziell diese Sendung nicht sehen. So wurden den Jugendlichen Fotos von verschiedenen Frauen vorgelegt. Die Probanden sollten entscheiden, welche ihrer Meinung nach die schönste ist. Das Ergebnis: Regelmäßige GNTM-Seher wählten den Körper eines sehr schlanken Models, bei dem die Knochen zu sehen sind, deutlich häufiger als die Nie-Seher.

Unter den gezeigten Fotomodellen war auch ein „normales“, nicht übergewichtiges Mädchen abgebildet, deren Hüfte allerdings etwas breiter wirkte. Die Topmodel-Fans wählten sie auf den letzten Platz ihres Schönheits-Rankings. „Genau dieser ganz normale Mädchenkörper, der einfach abfotografiert wurde, wird von regelmäßigen GNTM-Sehern so gut wie nicht mehr als schön empfunden“, resümieren die Wissenschaftlerinnen.

Ihr Fazit: Durch GNTM würden die Mager-Maße nicht nur zum Schönheitsideal erhoben, sie seien durch die hohe Attraktivität der Sendung und ihrer Präsenz in der Jugendkultur auch ständiges Thema und ein Symbol für Erfolg und Anerkennung. „Dass genau dies nicht der Fall ist, erkennen die Jugendlichen nicht“, heißt es in der Studie. Das dürfte durch die neue Doppelbeschallung aus „GNTM“ und „Das perfekte Model“ sogar noch zunehmen.

Doch das Problem sind nicht nur die gezeigten Inhalte, sondern auch die mangelnde Medienkompetenz der jungen Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer, die sich nicht ausreichend von dem TV-Format distanzieren können. Eltern und Pädagogen rät Götz deshalb, den Jugendlichen klar zu machen, dass ein normales Mädchen nicht aussieht wie die Kandidatinnen, die aus Tausenden herausgesucht wurden. Auch eine kritische Mediendistanz zu vermitteln, sei wichtig – denn aus dem Fernsehalltag werden die günstig zu produzierenden und quotenträchtigen Formate so schnell nicht wieder verschwinden.


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