Röntgenschürze, Skalpell und gute Nerven im OP: eine Neurochirurgin

Röntgenschürze, Skalpell und gute Nerven im OP: eine Neurochirurgin

Um kurz vor sechs frühstückt Friederike Gamm und füllt einen Thermobecher mit Kaffee, denn Müdigkeit kann sich die 35-jährige Neurochirurgin nicht leisten. Bis zum Main-Kinzig-Krankenhaus in Gelnhausen sind es 61,9 Kilometer. „Ich muss aber nicht jeden Tag so weit fahren, häufig bin ich auch in der angeschlossenen Praxis in Fulda.“ Als Gamm ankommt, parkt sie ihren Audi und macht sich auf den Weg in die neurochirurgische Station im vierten Stockwerk. Ihr erstes Ziel ist das Schwesternzimmer, wo sie sich einen Überblick über Patienten und den OP-Plan verschafft. Danach gilt es, Röntgenaufnahmen zu bewerten und Patientenberichte zu vervollständigen. Gegen acht Uhr trifft ihr Kollege Steffen Urban ein. Beide ziehen sich ihre weißen Kittel an. Bei der Visite geht die Ärztin auf jeden Patienten höflich und geduldig ein, fragt nach dem körperlichen Befinden und klärt, ob er als Unterstützung seiner Genesung eine Rehabilitation machen möchte. Parallel dokumentiert Urban alle Angaben in der Patientenakte. Viel Zeit bleibt nicht, denn sie wird im OP erwartet. Ihr Kollege ist an diesem Tag in der ambulanten Praxis, daher trennen sich hier die Wege. Die Ärztin macht sich auf ins Untergeschoss des Krankenhauses. Hinter einer großen Tür mit der Aufschrift „Zutritt nur für Mitarbeiter“ erstreckt sich der Gang zu den Umkleidekabinen. Gamm zieht eine mintgrüne Hose mit Oberteil an, ihre braunen, schulterlangen Haare versteckt sie unter einer Haube. Es folgen Mundschutz und rote Gummischuhe mit ihrem Namen. Erst wenn die Arbeitskleidung sitzt, darf sie auf der anderen Seite der Umkleidekabine herausgehen, denn Sterilität hat im OP-Bereich oberste Priorität.

Pumpen mit dem Ellenbogen

Die erste Operation ist eine Kyphoplastie. Hierbei handelt es sich um einen gebrochenen Wirbelkörper, den es auszuzementieren gilt. Da bei Wirbelsäulenoperationen viel geröntgt werden muss, ist das Anlegen des Röntgenschutzes, bestehend aus Rock, Weste und Halskrause, unabdingbar. Danach wäscht sie sich ausgiebig mit Desinfektionsmittel. Die alkoholhaltige und streng riechende Flüssigkeit pumpt sie mit dem Ellenbogen aus dem Behälter in die Hand. Die erste Portion wird großzügig über Hände und Unterarme verrieben. Sie muss penibel darauf achten, dass Hände und Unterarme mit nichts aus ihrem Umfeld in Berührung kommen. Sollte dies passieren, muss sie die ganze Prozedur von vorne beginnen, egal bei welchem Schritt die Ärztin gerade war. Danach konzentriert Gamm sich auf Hände, Fingerspitzen und Nägel. Abschließend muss sie warten, bis das Mittel getrocknet ist, sonst kann sie die Handschuhe nicht anziehen. Der Vorgang dauert bis zu fünf Minuten.

Für jede Hand doppelten Schutz

Mit dem Fuß tritt die Neurochirurgin gegen einen Bewegungsmelder, damit sich die schwere Tür zum OP-Saal berührungsfrei öffnet. Dort wird sie von OP-Pfleger Alexander Simon begrüßt. Dieser ist schon steril und zieht ihr einen weiteren Kittel über die Röntgenschürze und weitere Handschuhe. Für jede Hand zwei Stück, für doppelten Schutz. Der narkotisierte Patient wird auf den OP-Tisch gelegt und vorbereitet. „Bei manchen Operationen bin ich heute immer noch angespannt. Es ist immer besser, einen kühlen Kopf zu bewahren, als sich auf die Frage ,Was könnte ich falsch machen?‘ zu konzentrieren“, erklärt die Chirurgin. „Am Anfang war ich teilweise so aufgeregt, dass mir schlecht oder schwindelig wurde. Man hat schließlich eine sehr große Verantwortung.“

Biozement mit hohem Härtegrad

Gamm beginnt mit der Kyphoplastie, indem sie eine Kanüle auf Höhe des porösen Wirbelkörpers plaziert. Dadurch entsteht ein sogenannter Arbeitskanal, durch den eine Hohlnadel in den gebrochenen Wirbel eingeführt werden kann. Durch diese wird der Knochenzement injiziert. Das ist ein Biozement mit hohem Härtegrad, eine Substanz, die ebenfalls im natürlichen Knochen enthalten ist. Nach einer halben Stunde ist die Operation abgeschlossen, der Patient wird vom Beatmungsgerät abgelöst und in den Aufwachraum gefahren. Friederike Gamm zieht Umhang und Röntgenschürze aus, desinfiziert sich noch einmal die Hände und setzt sich an den Computerplatz im Flur vor den OP-Sälen. Hier dokumentiert sie den OP-Verlauf. Die Zeit zwischen zwei OPs können die Ärzte mit Kollegen in einem Aufenthaltsraum nutzen, um sich zu erfrischen, da der OP-Saal nach jeder OP sterilisiert werden muss. Dies übernehmen Hygienefachkräfte.

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