Schon bei Jugendlichen: Dauerhafte Einsamkeit macht öfter krank

Beim Wort Einsamkeit hatten früher viele vor allem ältere Menschen vor Augen. Doch inzwischen sind auch immer mehr Jüngere einsam. Das ist nicht nur unangenehm, sondern wird zunehmend zur Gesundheitsgefahr.

In ersten Ländern gibt es Einsamkeits-Ministerien, die Bundesregierung beschloss kürzlich ein Strategiepapier mit mehr als 100 Maßnahmen gegen Einsamkeit und ein nordirisches Pub rührte in der Vorweihnachtszeit mit einem Video zu einem einsamen alten Mann Millionen. Haben wir ein Einsamkeitsproblem? Studien wiesen auf eine steigende Zahl von Menschen hin, die sich fortwährend einsam fühlen, sagt Susanne Bücker von der Universität Witten/Herdecke. Das ist nicht nur bedrückend für die Psyche, sondern kann körperlich schwer krank machen. „Einsamkeit ist definitiv ein großes Gesundheitsrisiko.“

Eine im Fachmagazin „PNAS“ vorgestellte US-Studie zeigt, dass anhaltende Einsamkeit in mittlerem Alter mit einer merklich erhöhten Sterblichkeit in späteren Jahren einhergeht. Einfluss habe das Gefühl unter anderem auf den Blutdruck, die Alterung des Gedächtnisses und das Herz-Kreislaufsystem. „Einsamkeit ist weltweit ein wachsendes Problem für die öffentliche Gesundheit“, heißt es vom Forschungsteam um Lindsay Kobayashia von der University of Michigan in Ann Arbor in den USA.

Schon vor einigen Jahren hatte eine in „PLOS Medicine“ präsentierte Metaanalyse von knapp 150 Studien weltweit ergeben, dass mit Qualität und Quantität ihrer sozialen Beziehungen zufriedene Menschen im Mittel länger leben. Das Sterberisiko bei Einsamkeit ist demnach mit dem von Risikofaktoren wie Rauchen vergleichbar, vielfältige Prozesse im Körper und auch das Verhalten werden beeinflusst. Und erst kürzlich zeigte eine im Fachblatt „BMC Medicine“ veröffentlichte schottische Studie, dass niemals von Freunden oder Verwandten besucht zu werden mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden ist.

Kein Problem der Alten

Viele nähmen sich an Silvester vor, gesünder zu leben oder mehr Sport zu treiben, sagt Bücker, Professorin für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie. Mindestens ebenso wichtig sei die Pflege sozialer Beziehungen. „Es ist eine gute Idee, sich für 2024 vorzunehmen, sich regelmäßig bei Freunden und Verwandten zu melden.“

Im Weihnachtsvideo von „Charlie’s Bar“ in Nordirland bringt ein alter Mann Blumen an ein Grab und trifft später auf Menschen, die sich spontan zu ihm gesellen und mit ihm den Abend verbringen. Einsamkeit ist aber mitnichten nur ein Altersphänomen.

Nach Daten der kürzlich vorgestellten Pisa-Studie mit Daten aus dem Jahr 2022 fühlen sich gut 12 Prozent der 15-Jährigen in Deutschland in der Schule einsam. Und bei einer Analyse in Nordrhein-Westfalen (NRW) im September und Oktober gaben rund 16 bis 18 Prozent der 16 bis 20 Jahre alten Befragten an, sehr einsam zu sein. Die Spanne geht darauf zurück, dass nach Geschlecht und zwei Arten von Einsamkeit – emotional und sozial – unterschieden wurde.

Noch sehr wenig sei derzeit über Einsamkeitsgefühle bei Kindern bekannt, sagt Bücker. Ihr Team sucht aktuell nach Teilnehmern für eine Studie dazu. „Uns interessiert dabei auch, ob Eltern die Einsamkeitsgefühle ihrer Kinder gut genug wahrnehmen können und wie die sozialen Beziehungen der Kinder mit ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Gesundheit zusammenhängen.“

Freunde tragen durchs Leben

„Wenn sich jeder fünfte bis achte junge Mensch meist einsam fühlt, dann sind das überraschend viele“, betont Bücker zu den bisher verfügbaren Daten. Besonders bedenklich: „Wer als junger Mensch einsam ist, hat ein hohes Risiko, auch im weiteren Lebensverlauf einsam zu bleiben.“ Zudem seien Freunde extrem wichtige Entwicklungshelfer auf dem Weg zum Erwachsenwerden, ergänzt der Psychologe Horst Heidbrink von der IU – Internationale Hochschule in Hamburg. „Sie sind notwendig für die langsame Ablösung vom Elternhaus.“ Auch Franz Neyer vom Psychologie-Institut der Universität Jena betont: „Man braucht Freunde, um zu sich selbst zu finden.“

Doch warum fühlen sich so viele Jugendliche einsam? Ein Stück weit seien das wohl noch Nachwirkungen der Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie, sagt Bücker. Bei der hohen Anpassungsfähigkeit in diesem Alter sei aber nicht ausgeschlossen, dass diese Effekte auch wieder verschwinden. Darüber hinaus sei von weiteren Einflussfaktoren auszugehen. „Wir haben festgestellt, dass diejenigen, die angegeben haben, dass sie finanzielle Probleme haben in ihrem Haushalt, auch eher einsam sind“, hatte Maike Luhmann von der Uni Bochum zu den Ergebnissen in NRW gesagt. Auch eine exzessive Nutzung von Handy, Computer und Co. sei bei Jüngeren mit höheren Einsamkeitswerten verbunden.

Digitale ersetzen analoge Beziehungen nicht

Gaming-PCs samt Equipment lassen sich schlecht mit zu Freunden schleppen – verbreitet bleiben Jugendliche daher einzeln daheim und kommunizieren beim Zocken über Chatprogramme miteinander. Verabredungen im „Real Life“ werden automatisch seltener.

Auch wenn digitale Welten das oft versprächen: „Dass sich eine Beziehung gänzlich ohne räumliche Nähe führen lässt, zeigt die Forschung nicht“, sagt Neyer dazu. Gerade anfangs brauche es persönliche Treffen, ist auch Heidbrink überzeugt. Danach könne ein Kontakt durchaus auch überwiegend online gehalten werden. „Oft nur zu telefonieren ist für Freundschaften ja auch nicht defizitär.“

Wichtig ist, überhaupt regelmäßig Kontakt zu suchen. Denn klar ist: Freundschaften, das wohl beste Mittel gegen Einsamkeit, bleiben nicht einfach so bestehen. „In eine Freundschaft muss ich investieren, das ist kein Selbstläufer“, betont Neyer. Eine Freundschaft aufzubauen, brauche Zeit, und sie müsse gepflegt werden, von beiden Seiten. „Selbst bei unseren ganz alten und sehr intimen Freundschaften achten wir immer auf eine Ausgeglichenheit von Geben und Nehmen“, sagt Horst Heidbrink. „Selbst wenn wir diejenigen sind, die mehr profitieren, ist uns das bei einer Freundschaft auch unangenehm.“

Im Laufe des Lebens werde einem Menschen der emotionale Gewinn von Freundschaften immer wichtiger, ergänzt Neyer. Das sei mit ein Grund dafür, dass das Freundenetzwerk im Alter oft ausdünnt. Zu den Risikofaktoren dafür zählten zudem einschneidende Lebensereignisse wie Umzug, Scheidung, Verwitwung und Renteneintritt, sagt Bücker. Alleinerziehende seien von Einsamkeit häufiger betroffen, ebenso wie Menschen, die Angehörige pflegen. Ein großes Risiko sei zudem Armut.

Reines Homeoffice macht schneller einsam

Weitere Faktoren seien Schichtarbeit und – in seiner nun weiten Verbreitung noch recht neu – die Arbeit im Homeoffice. „Es wird unterschätzt, wie wichtig der kleine Klönschnack auf dem Flur oder in der Büroküche für das Wohlbefinden ist“, sagt Heidbrink. „Für die meisten ist sicher eine Kombination aus Präsenz und Homeoffice die gesündere Lösung.“

Auch Freundschaften werden im Büro geschlossen – allerdings bei Weitem nicht mehr in dem Maße wie zu Schul- und Studienzeiten, wie Bücker sagt. „Es ist darum wichtig und gut, sich im jungen Alter soziale Beziehungen aufzubauen, die einen dann bis ins hohe Alter tragen.“ Auch deshalb, weil es im Alter meist schwerer falle, neue Freunde und aus Einsamkeit heraus zu finden.

Hilfreich sei die Mitgliedschaft in Vereinen, ehrenamtliches Engagement – und Elternschaft. „Unter anderem, weil über die Kinder häufig neue Freundschaften geschlossen werden.“ Eine Ehe wiederum kann, muss aber nicht hilfreich dabei sein, sich sozial gut eingebettet zu sehen. „Auch Verheiratete können sehr einsam sein“, erklärt Heidbrink. Umgekehrt sei Alleinsein keinesfalls mit Einsamkeit gleichzusetzen.

So subjektiv wie das Empfinden von Einsamkeit ist die Zahl der fürs Wohlbefinden nötigen Freundschaften: Sollten es 5 oder besser 15 sein? Dafür gibt es kein generell gültiges Optimum, wie Experten betonen. „Auf die Frage, wie viele Freunde sie haben, können die meisten auch gar nicht spontan antworten“, gibt Heidbrink zu bedenken. „Wir bezeichnen manche Beziehungen nicht als Freundschaften, obwohl sie das eigentlich sind – bei Verwandten zum Beispiel.“ Umgekehrt gebe es Freundschaften, die rein auf Geschäftsinteressen beruhten und darüber hinaus nicht unbedingt tragfähig seien.

„Ein oder zwei Freundschaften zu haben, ist nicht schlechter, als viele zu haben“, betont Neyer. Die Einschätzung, unter welchen Umständen man sich sozial gut eingebettet fühle, sei je nach Persönlichkeit subjektiv sehr verschieden.

Zaubermittel Schwätzchen im Park

Erstaunlich großen Anteil daran hätten oft allein schon die tagtäglichen flüchtigen Kontakte, erklärt Bücker. Das Lächeln der Kassiererin an der Kasse, das kurze Gespräch mit dem Nachbarn auf der Straße, der freundlich grüßende Passant beim Spazierengehen: „Solche sogenannten weak ties haben ein ganz erstaunliches Potenzial, die Zufriedenheit mit dem eigenen Sozialleben zu erhöhen.“

Auch Heidbrink betont, dass es keineswegs nur die sehr intimen, engen Freundschaften seien, die uns vor Einsamkeitsgefühlen bewahrten. Alltagsbekanntschaften und die ganz normalen kleinen täglichen Begegnungen trügen sehr dazu bei. „Man muss nicht immer seine Seele vor anderen ausbreiten, um zufrieden mit seinem Sozialleben zu sein.“

Früher hielt man ein Schwätzchen mit den Besitzern kleiner Läden oder traf sich im Café – inzwischen sind etliche kleine Geschäfte nicht mehr da und gerade bei Senioren gibt die Rente Kaffee und Kuchen im Café oft nicht mehr her. Rat und Tipps für Treffpunkte biete das Kompetenznetz Einsamkeit, so Bückers Hinweis. Dort lässt sich gezielt nach Angeboten für den jeweiligen Wohnort suchen.

Gezielte Maßnahmen seien gefragt, ist das Forschungsteam der aktuellen „PNAS“-Studie überzeugt. Untersuchungen zeigen Bücker zufolge, dass die Einsamkeitswerte dort niedriger sind, wo es mehr Parkanlagen und kostenlos zugängliche öffentliche Räume gibt. „Stadtplaner haben also großen Einfluss. Manche ziehen sich diesen Schuh auch schon an.“ Sie planten gezielt Begegnungsstätten für neue Quartiere und Siedlungen. Gerade mit der aktuellen Wohnungsnot sei es allerdings nicht ganz einfach, solche Orte durchzusetzen – oder allein schon, bestehende zu erhalten.

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