Schweizer Familie in Kijabe


Ich hoffe, ich kann diesen Menschen eines Tages helfen, eine Perspektive zu finden.“ Diesen Herzenswunsch fasste Hanspeter Rüegg, während er als junger Mann für drei Monate in Sudan in einem Team von Entwicklungshelfern mitarbeitete. Gelandet war er dort auf Umwegen. 1986 hatte der mittlerweile 59-Jährige mit drei Freunden in zwei Land Rovern von der Schweiz aus bis nach Kenia reisen wollen. Diese Reise endete jedoch wegen kriegsähnlicher Zustände abrupt in Sudan. „Die überwältigende Armut und das Elend vor Ort mitzuerleben hat mich sehr berührt und mir die Augen geöffnet.“ Mit einem brennenden Herz für Afrika kehrte er zurück in die Schweiz zu seinem Arbeitsalltag als Hochbauzeichner und arbeitete eine Zeit lang in Zürich für verschiedene Architekturbüros.

Einige Jahre nach seiner Heirat entschloss er sich mit seiner Frau zu einem Kurzeinsatz in Kenia sowie einer interkulturellen und theologischen Weiterbildung. Danach wurde Rüegg eine 80-Prozent-Stelle als Lehrperson an einer theologischen Schule in Kenia angeboten. Sie zogen nach Kijabe. Der abgelegene Ort liegt 50 Kilometer nordwestlich von Nairobi am Rand des Great Rift Valley. Es gibt ein Krankenhaus und ein Internat für Kinder von internationalen Entwicklungshelfern, die Rift Valley Academy. „Als Lehrer war ich eine Respektsperson, obwohl es aufgrund der teilweise fehlenden Vorbildung der Lernenden, wegen ihrer unterschiedlichen Herkunft, schwierig war, Wissen zu vermitteln.“ Anfangsschwierigkeiten hatten auch die Kinder der Rüeggs. „Zu Beginn war vieles fremd und verunsichernd, vor allem die verschiedenen Kulturen und natürlich die englische Sprache“, sagt der älteste Sohn Simon.

Korruption und mitreißende Gastfreundschaft

Doch für ihn und seine Schwester Naomi ist Kijabe eine Heimat geworden. „Es ist ein friedlicher, naturverbundener Ort, an dem ich mich frei fühlte“, sagt Naomi. Die Familie lebte in einem einfachen Haus mit Garten und wunderschöner Aussicht. „Ich fühlte mich sicher und war froh, dass wir uns schnell eingelebt haben“, sagt ihre Mutter Kathy. Als sie 2001 mit nach Kenia reisten, war sie mit dem dritten Kind schwanger, die anderen Kinder waren drei und fünf Jahre alt. Alle sind dankbar für diese Zeit und lernten ein naturnahes und unkompliziertes Leben kennen. Jael, die Jüngste, erinnert sich: „Ich verbrachte meine ganze Kindheit in Afrika. Ich liebte es, draußen im Garten zu spielen und auf Bäume hinaufzuklettern. Ich rannte ständig herum und versuchte, die Chamäleons zu fangen. Meine Freunde wohnten alle nebeneinander. Ich konnte mich frei bewegen und sie jederzeit treffen.“ Ihre Mutter sagt: „Das Afrika, das wir alle bereits aus etlichen Berichten kannten, erlebten wir in Kenia. Die den Alltag beherrschende Korruption, die Spontanität, die Unpünktlichkeit, die allgegenwärtige Armut, aber auch die mitreißende Lebensfreude und die unglaubliche Gastfreundschaft.“

Abstammung, Ansehen der Familie und der Status einer Person scheinen wichtiger zu sein als deren Leistung. Macht wird schnell ausgenutzt, was zu Konflikten führt und in Aufstand oder Ohnmacht endet. „Es ist ein Land mit mehr als 40 Stämmen, über 50 verschiedenen Sprachen und den unterschiedlichsten Lebensformen“, sagt Hanspeter Rüegg. Das führt zu Streit unter den Stämmen. Andererseits achtet man aufeinander, der soziale Umgang miteinander hat einen hohen Stellenwert. „Eine Begrüßung reicht bei einer Begegnung nicht aus, man fragt, wie es dem anderen und der Familie geht“, sagt seine Frau. Die Priorität liegt nicht auf der Pünktlichkeit, sondern darin, Zeit mit jemandem zu verbringen.

Schulpause, wenn der Regen aufs Eisendach prasselt

Hauptnahrungsmittel ist Ugali, ein fader Maisbrei. Gegessen wird mit den Händen. „Du nimmst ein wenig Ugali, machst ein Loch und füllst eine Zutat hinein.“ Etwa Sukuma Wiki mit Zwiebeln. „Es schmeckte ähnlich wie Spinat, nur fester und bitterer.“ Bei festlichen Anlässen gab es Stew und Chapati, ungesäuertes Fladenbrot. Unterwegs hatte es Grillstände, die Nyama Choma, grillierte Ziegenfleischstücke, am Straßenrand verkaufen. Getrunken wurde Chai, ein heißer, gewürzter Schwarztee mit Milch und viel Zucker. Er wird in der Chai Break, der Schulpause, mit süßem Gebäck offeriert. Pausen entstanden bei heftigen Regenschauern, weil es wegen der Eisendächer in den Schulräumen zu laut wurde. Es gibt Umgangsregeln, die es zu beachten gilt. „Wenn jemand, den du kennst, an deine Haustür kommt, nimmst du ihn ins Haus und fragst nicht, ob er einen Chai trinken will, du bringst ihm einen. Denn sonst fühlt er sich nicht willkommen“, sagt Ka­thy Rüegg. Wichtig ist, die Tasse bis ganz zuoberst zu füllen, sonst ist es unhöflich.

Die Familie lernte, was es heißt, in einem Land zu leben, in dem Korruption alltäglich ist. „Wir waren zu dritt auf dem Rückweg vom Einkauf in der Stadt, als uns ein Kontrollposten anhielt. Dort sagte man uns, dass es nicht erlaubt sei, Ware und Personen zusammen auf dem Rücksitz zu transportieren, und dass wir eines von beidem zurücklassen müssen“, erzählt Rüegg. Sie erklärten dem Kontrolleur höflich, dass sie noch nie etwas von dieser Vorschrift gehört hätten und froh seien, dass er ihnen dies mitgeteilt habe. „Als wir ihm dann eine Cola anboten, durften wir weiterfahren.“ So fielen den Polizisten die vielfältigsten Gründe ein, um sich mithilfe ihres Amtes zu bereichern. „Sobald du im Taxi sitzt und der Fahrer weiß, wohin du möchtest, fährt er mit dir zur nächsten Tankstelle, um mit deinem Geld zuerst seinen Tank zu füllen“, sagt Kathy Rüegg.

Sie können mehr von den nachrichten auf lesen quelle

Weer

Weather Icon
background