Total angepasst – wie gewünscht

Überall wird auf die Generation Y eingeprügelt, die gerade von den Unis auf den Arbeitsmarkt kommt: zu angepasst, zu brav, zu pragmatisch, kein Interesse an Diskussionen und Auseinandersetzungen. Das umstrittene Buch „Warum unsere Studenten so angepasst sind“ von der Journalistin und Dozentin Christiane Florin bringt die Vorwürfe auf den Punkt. Eine pragmatische Generation, so sagt sie, die sich nur noch für Credit Points und Scheine interessiert. Florin scheint verzweifelt.

Auch viele Personalmanager sind von den jungen Bewerbern und Mitarbeitern enttäuscht, zumindest von den Bachelor-Absolventen. Es mangele ihnen an Eigeninitiative, an Analysefähigkeit, schlicht am gesunden Menschenverstand, sagen sie. Unterm Strich: Die Bachelors sind nicht fit für den Arbeitsmarkt.

Wundern darf das eigentlich niemanden. Man hat den Studierenden mit der Bologna-Reform ein verschultes System aufgezwungen, das ihnen die Freiheit genommen hat. Bis zum Bachelor-Abschluss dominiert das Auswendiglernen und das Hecheln von Klausur zu Klausur. Die Studierenden werden zu Arbeitsmaschinen gedrillt, zum punktgenauen Abliefern. Nach der Prüfung ist das gepaukte Wissen schnell vergessen. Der nächste Test wartet schon.

Die Studenten spielen das Spiel mit. Sie wären dumm, wenn sie es nicht täten. Sie haben kapiert, was genau belohnt wird. Nämlich nicht das Ausprobieren, das Scheitern, das Erfahrungsammeln. Sondern schnelles Studieren und gute Noten. Die Zulassung zu vielen Master-Studiengängen gibt es nur, wenn man einen besseren NC hat als andere. Und natürlich haben die meisten das Abschlussziel Master. Denn kaum einer nimmt den Bachelor-Abschluss ernst: die Studierenden nicht, die Unternehmen nicht und die Hochschulen nicht.

Unangepasstheit wird nicht belohnt

Manche wirtschaftswissenschaftliche Fakultäten verlangen von Master-Bewerbern einen speziellen Test, den sogenannten GMAT. Damit zeigt man das eigene Misstrauen gegenüber dem Bachelor. Angeblich dient der Test der besseren Vergleichbarkeit. Aber war die nicht genau eines der zentralen Anliegen der Bologna-Reform? Der Test belohnt keine besondere Persönlichkeit, keine Unangepasstheit, sondern vor allem diejenigen, die sich am besten darauf vorbereitet haben.

In Bewerbungsprozessen ist es genauso schwierig, mit Persönlichkeit zu punkten. Das wissen die Studierenden ganz genau. Die Unangepassten, die Quereinsteiger, diejenigen, die vielfältige Erfahrungen gemacht haben, aber vielleicht schon etwas älter sind, haben bei Bewerbungen das Nachsehen. In Ausschreibungen wird eben nach Prädikatsexamen und überdurchschnittlichen Abschlüssen gefragt. Die Noten müssen super sein, der Lebenslauf lückenlos, und das Praktikum sollte bei einer Top-Adresse absolviert worden sein. Daran erkennt man einen High-Potential-Bewerber.

Arbeitgeber erwarten von den Unis fertige Mitarbeiter

Zielstrebigkeit ist das A und O – am besten, man kann sie schon ab dem Teenageralter belegen. Start-up gegründet? Dann aber bitte neben dem Studium und hoffentlich erfolgreich. Auslandserfahrung? Super, aber bitte kein Work and Travel oder Erfahrungen aus der Arbeit in einem Kibbuz. Wirkliches Ausprobieren? Fehlanzeige.

Auffällig ist, dass die Erwartungen an die junge Generation enorm geworden sind. Wenige Arbeitgeber weichen davon ab. Sie wollen fertige Mitarbeiter von den Unis geliefert bekommen und sind nicht bereit, sie wirklich anzulernen. Keine Zeit mehr. Dabei wäre es beispielsweise sinnvoll, noch mehr Trainee-Programme anzubieten und diese nicht nur für stromlinienförmige Kandidaten zu öffnen. Trainee-Programme für Ältere oder Quereinsteiger sind immer noch eine absolute Ausnahme.

Deutschland wird seine Wettbewerbsfähigkeit nicht allein mit Prädikatsexamen erhalten, sondern mit kreativen Köpfen, die den Willen haben, Risiken einzugehen. Mehr und mehr werden Leute gefragt sein, die sich selbstständig in neue Themen einarbeiten und nicht nur auf Anweisung handeln; die komplexe Sachverhalte analysieren und vernetzt denken. Die Wirtschaft braucht Absolventen mit Persönlichkeit, die fähig sind zur Selbstreflexion, und die in der Lage sind, schnell zu lernen. Doch Persönlichkeit ist eine Frage von Zeit – und der Freiheit, sie zu entwickeln.

Dazu müssen die Studierenden ermutigt und die richtigen Strukturen geschaffen werden. Im Moment haben sie verdammt große Angst, das Falsche zu tun. Das sollte man ihnen nicht vorwerfen. Schon gar nicht, wenn man selbst in einer Zeit groß geworden ist, in der jeder Akademiker einen sicheren Job mit Tarifvertrag bekommen hat, wenn er nur seinen Namen richtig schreiben konnte. Die Zeiten sind unsicherer geworden. Darüber täuscht eine niedrige Arbeitslosenquote bei den Akademikern nicht hinweg.

Christiane Florin schimpft in ihrem Essay über eine Generation, die den Diskurs öde findet und vorgefertigte Stundenpläne haben will. Wo ist da eigentlich der Ehrgeiz geblieben, die Studierenden zum eigenständigen Denken anzuregen, sie für Themen zu begeistern? Die Lehrenden sollten sie unterstützen, freiheitsliebende Menschen zu werden, damit sie die nötige Lebenskompetenz erwerben. Es lohnt sich, den Studierenden die nötige Zeit zu geben.

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