Wie Jugendliche Rassismus im Alltag erleben

In Deutschland haben rund 16 Millionen Menschen eine Zuwanderungsgeschichte. Auch wenn die Hälfte von ihnen eine deutschen Pass hat: Wer als „Ausländer“ wahrgenommen wird, sieht sich häufig mit diskriminierenden Klischees konfrontiert. Solche Erfahrungen müssen auch viele Kinder und Jugendliche machen, insbesondere wenn sie durch ihre Hautfarbe nicht als typisch europäisch wahrgenommen werden. Eine junge Frau mit somalischen Wurzeln erzählt, wie sie seit ihrer Kindheit mit Ungerechtigkeiten, Ausgrenzung und rassistischen Äußerungen umgeht.

Glaubt man offiziellen Statistiken, so ist es im Einwanderer- und Multi-Kulti-Land Deutschland nicht weit her mit der Toleranz und Offenheit gegenüber Menschen, die keine europäischen beziehungsweise deutschen Wurzeln haben. Denn jeder fünfte – so die Zahlen einer Studie der Friedrich-Ebert Stiftung und der Uni Bielefeld – hat tendenziell eine ausländerfeindliche Einstellung, und jeder zweite hat Angst vor Überfremdung.

Solche Ressentiments treten meist nicht offen zutage. Rassismus und Diskriminierung im Alltag finden nämlich meist eher beiläufig statt und sind so unterschwellig, dass es kaum als gesellschaftliches Problem wahrgenommen wird, und im öffentlichen Bewusstsein verharmlost, beziehungsweise verleugnet wird.

Das „N-Wort“ ist aus dem Wortschatz nicht verbannt

Was es heißt, augenscheinlich anders zu sein und damit immer wieder konfrontiert zu werden, weiß die 19-jährige Leila seit ihrer frühen Kindheit. Als sie drei Jahre alt war, flohen ihre Eltern vor dem Bürgerkrieg in Somalia und begannen im Rhein-Main-Gebiet ein neues Leben. Heute hat Leila einen deutschen Pass und fühlt sich mit ihrer Familie hier zu Hause. Wie eine „Einheimische“ wird sie aber trotzdem nicht immer behandelt. Das bekommt sie vor allem dann zu spüren, wenn sie zum Beispiel Sticheleien von anderen Jugendlichen ausgesetzt ist.

„Von wegducken halte ich nichts“

„Manchmal werde ich blöd angemacht. Einfach so. Dann fällt auch mal das böse ‚N-Wort‘. Viele in meinem Alter kennen nämlich gar nicht die negative Bedeutung des Ausdrucks und haben keine Ahnung, dass man Sklaven früher so nannte und beschimpfte. Dann werde ich wütend und sage meine Meinung. Das hat bisher gut funktioniert und ich werde dann in Ruhe gelassen. Von wegducken halte ich nichts. Das macht einen nur ängstlich und klein.“

Alltagsrassismus ist eine harte Probe für das Selbstwertgefühl

Etwas mehr Verständnis als für Gleichaltrige bringt Leila für ältere Menschen auf, die ihr gegenüber misstrauisch sind und auf Distanz gehen. Als sie vor drei Jahren ein Praktikum im Seniorenheim machte, erlebte sie manchmal sogar offene Feindseligkeit, erinnert sie sich:  „Ein alter Mann beschimpfte mich dort regelmäßig und sagt mir, Afrikaner hätten in diesem Land nichts zu suchen. Aber so eine Haltung kann ich sogar irgendwie nachvollziehen und verzeihen. Diese Generation ist eben anders aufgewachsen. In deren Jugend gab es kaum Menschen, die von anderen Kontinenten stammten und eine andere Hautfarbe hatten.“

Als besonders kränkend empfand Leila vor nicht allzu langer Zeit das unangenehme Ende einer Shoppingtour, bei der sie in einer Filiale einer großen Modekette von einem Detektiv des Diebstahls bezichtigt wurde, obwohl eigentlich keine Verdachtsmomente vorlagen, wie sie sagt: „Auch als die Leute von dem Laden nach gründlicher Durchsuchung nichts in meinen Taschen fanden, musste ich trotzdem noch dableiben und mich bis auf die Unterhose ausziehen, um nachzuweisen, dass ich auch wirklich nichts geklaut hatte. Das war sehr demütigend. Ich frage mich, ob ich auch so behandelt worden wäre, wenn ich eine andere Hautfarbe hätte.“

Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten auch in der Schule

Leilas Psyche scheint aber trotz solcher verletzender Erlebnisse offenbar keinen großen Schaden genommen zu haben. Die junge Frau mit somalischen Wurzeln gibt sich sehr selbstbewusst. Sie ist zielstrebig und versucht auch in der Schule ihr Bestes zu geben: Gerade macht sie ihren Realschulabschluss und will danach das Fachabitur schaffen. Trotzdem: Auch in der Schule läuft bei ihr nicht immer alles glatt, denn sie hat regelmäßig mit Hindernissen zu kämpfen, die vielleicht nicht existieren würden, so Leilas Annahme, wenn ihre Herkunft eine andere wäre.

„In meiner Schulzeit gab es bisher immer wieder Ungerechtigkeiten. Öfter habe ich mit denselben Noten bei Klassenarbeiten eine schlechtere Gesamtbewertung bekommen als zum Beispiel Kinder, deren Eltern nicht aus Somalia, Marokko oder der Türkei stammen. Häufig wurden diese Schüler auch bei der mündlichen Mitarbeit vorgezogen und ich wurde gar nicht dran genommen, obwohl ich mich genauso viel meldete.“

Studien: Migrantenkinder sind in der Schule häufig benachteiligt

Obwohl ungerechte Benotungen grundsätzlich ein heiß diskutiertes Thema unter Schülern sind und es oftmals schwer fällt, die wirklichen Gründe dafür zu benennen, bestätigen Untersuchungen von Soziologen der Evangelischen Hochschule Berlin, dass Migrantenkinder tatsächlich häufig benachteiligt werden. Seit den PISA-Ergebnissen von 2001 sähen viele Eltern durch Mitschüler mit Migrationshintergrund in derselben Klasse ein Bildungsrisiko für den eigenen Nachwuchs.

Dabei sei der „geringere Bildungserfolg“ – so die Studien – eine Folge „einer spezifischen, institutionellen Bildungsdiskriminierung“: Die Zweisprachigkeit dieser Schüler werde oft als Defizit betrachtet, sie würden häufiger bei der Einschulung zurückgestellt oder an Sonderschulen verwiesen. Und bei gleichem Notendurchschnitt würden sie seltener für das Gymnasium empfohlen, erhielten oftmals bei gleicher Leistung schlechtere Bewertungen und würden zudem auch weniger gefördert.

Ähnliche Tendenzen zeigten sich auch bei einer Untersuchung über „Diskriminierung am Arbeitsplatz“ des Sachverständigenrats Deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Dabei schrieben die Forscher fiktive Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz. Sie wollten so herausfinden, ob bei gleicher Qualifikation der Lehrstellenanwärter mit typisch deutschem oder der mit türkischem Namen gewinnt. Das Ergebnis: Jugendliche mit ausländischen Wurzeln müssen deutlich mehr Bewerbungen schreiben, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Und: Auf ihre Post wurde häufiger gar nicht reagiert und wenn doch, wurden die fiktiven Bewerber mit Migrationshintergrund in den Antwortbriefen überdurchschnittlich oft geduzt.  

Harmlose Vorurteile hat fast jeder im Kopf

Trotz der Diskriminierungen, die auch Leila aufgrund ihrer Herkunft im Alltag erlebt, kann sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, woanders zu wohnen. Sie mag Deutschland. Doch als Deutsche wird sie trotz ihres deutschen Passes fast nie wahrgenommen. So sei man irgendwie immer zwischen zwei Welten, erzählt sie. Denn auch ihre Landsleute aus Somalia behandelten sie wie eine Ausländerin, vor allem weil sie deren Sprache kaum noch beherrsche.

Manchmal aber bringt das Schubladendenken ihrer Mitbürger Leila auch zum Schmunzeln: „Ich bin mal gefragt worden, ob ich denn noch afrikanisch sprechen kann. Ich fragte dann zurück, wie es denn so mit der europäischen Sprache läuft. Dann haben die Leute erst gemerkt, wie dumm ihre Frage war. Denn Afrika ist ja kein Land mit einer Sprache, sondern ein riesiger Kontinent. Aber es passiert häufig, dass vieles über einen Kamm geschoren wird. Genauso, wenn die meisten nicht glauben wollen, dass ich eine miserable Sängerin bin. Denn für sie gilt: Alle Afrikaner oder Afroamerikaner können natürlich super singen oder auch tanzen. Doch über solche eher harmlosen Vorurteile, die fast jeder im Kopf hat, kann ich nur lachen. Da steh ich drüber.“

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