Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge„Albträume sind anfangs völlig normal“
Korntal-Münchingen – Fast 200 sogenannte unbegleitete minderjährige Ausländer leben derzeit im Landkreis Ludwigsburg. Die Korntaler Jugendhilfe betreut rund 60 von ihnen. Die Leiterin der stationären Hilfen, Dorothea Winarske, kann viel über traumatische Erlebnisse, falsche Vorstellungen und auch Personalmangel erzählen.
Frau Winarske, der Landkreis erwartet in diesem Jahr bis zu 200 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Was bedeutet das für die Jugendhilfe in Korntal?
Das ist natürlich eine Herausforderung. Unsere Mitarbeiter müssen auf einmal viel mehr Verwaltungsarbeiten erledigen, Anträge stellen und behördliche Angelegenheiten regeln. Eigentlich kümmert sich da der gesetzliche Vormund drum, aber es ist nicht so leicht, so schnell einen zu finden.
Haben Sie denn genug Platz?
Nein. Aber wir haben auch nicht das Personal, um noch weitere Wohngruppen zu eröffnen. Wir würden gerne neue Mitarbeiter einstellen – wenn es denn welche gäbe. Wo man hinhört, ob beim Jugendamt oder in den Einrichtungen: alle suchen händeringend Personal.
Warum fliehen die Jugendlichen?
Es gibt Jugendliche, die weggehen, weil ihr älterer Bruder oder Vater plötzlich verschwunden ist, beim Militär oder bei der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Dem wollen sie entgehen. Die meisten machen sich allein auf den Weg, aber manche sind auch mit ihrer Familie geflüchtet und wurden unterwegs auseinander gerissen.
Wie wirken sich diese Erlebnisse aus?
Viele sind bei den Nachrichten im Fernsehen sehr aufmerksam, etwa wenn ein Bombenangriff auf Damaskus gezeigt wird: Wo geht die Bombe runter? Ist das in der Nähe vom Haus meiner Eltern? Sie wollen wissen, ob ihre Familie in Sicherheit ist – und wenn sie dann keinen Telefonkontakt bekommen, ist das schon eine unerträgliche Situation. Um den Schritt zu gehen, sich alleine auf den Weg zu machen oder sein Kind auf den Weg zu schicken, muss die Verzweiflung schon groß sein. Natürlich ist auch die Hoffnung groß. Was die Jugendlichen erlebt haben, ist entscheidend dafür, wie sie hier zur Ruhe kommen und ob sie sich sicher fühlen.
Haben viele falsche Vorstellungen?
Auch, ja. Die Jugendlichen denken, alles geht ganz schnell. Es ist für sie oft schwierig zu begreifen, wie lange es dauert, bis sie Deutsch können, bis sie einen Schulabschluss machen oder studieren zu können.
Setzt dann eine gewisse Ernüchterung ein?
Ja. Am Anfang sind die meisten froh, es geschafft zu haben. Wenn sie eine Weile da sind, kommen oft die Dinge hoch, die unter der Decke gehalten werden konnten, die unangenehmen, negativen Dinge. Dann erst trauern sie um die verlorenen Eltern und die verlorene Heimat. Viele sind dann in sich gekehrt, depressiv, ihnen fehlen der Antrieb und die Motivation, die anfangs da waren.
Sind viele Jugendliche traumatisiert?
Sie haben alle traumatische Situationen erlebt. Dass man Alpträume hat, ist für einige Zeit völlig normal. Ob eine längerfristige Störung entsteht, ist schwer zu sagen.
Gibt es in einem solche Fall Angebote?
Ein psychotherapeutisches Netzwerk haben wir nicht, es gibt allerdings Traumatherapeuten in der Umgebung. Die Plätze sind aber schnell vergeben. Wir versuchen, durch Strukturen Sicherheit zu geben: Schulbesuch, Sprachkurs, regelmäßige Essenszeiten. Aber wirklich eine Therapie anzubieten, möglicherweise noch in der Muttersprache – davon sind wir weit entfernt.
Gibt es auch Konflikte zwischen den Jugendlichen?
Ja. Oft aufgrund von Missverständnissen, auch sprachlichen. Das wird dann unter Umständen auch handgreiflich geregelt.
Versuchen Sie, die Jugendlichen nach Ethnien oder Herkunft zu trennen?
Wir versuchen darauf zu achten, das gelingt aber nicht immer. Oft lernen sie aber zu akzeptieren, dass es hier anders ist als sie es kennen. Dass sie jetzt mit Leuten am Tisch sitzen, mit denen sie in ihrer Kultur nie zusammen gesessen wären. Es ist uns ganz wichtig, von Anfang an zu vermitteln, wie wichtig gegenseitiger Respekt ist.
Haben die Flüchtlinge Kontakt mit deutschen Jugendlichen?
Kaum. Der Kontakt entsteht vor allem über die Schule, und dort sind die Flüchtlinge unter sich. Manchen ist es auch einfach zu viel: Sie sind so viel Fremdem ausgesetzt, in der Wohngruppe, im Alltag, dass sie froh sind, wenn sie in ihrer Freizeit mit Landsleuten zusammen sein können.
Haben Sie das Gefühl, dass die Jugendlichen sich integrieren wollen?
Grundsätzlich ja, die Bereitschaft ist da. Sie wollen Deutsch und die Kultur kennen lernen. Aber sie merken auch, dass das eine ganz schöne Herausforderung ist. Sie sehen, was hier alles anders ist und das ihre Lebensform und ihre Werte in Frage gestellt werden.
Wie optimistisch sind Sie, dass die Integration gelingen kann?
Mein Optimismus wird gerade etwas gedämpft angesichts der Massen. Wir haben die Mitarbeiter nicht, um diese vielen Jugendlichen gut betreuen oder gar integrieren zu können. Im Moment geht es um ein Notprogramm.
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Wenn ich Qualität hören will, dann muss ich Schallplatte hören“, sagt Holger Neumann, der Geschäftsführer der Schallplattenfabrik Pallas GmbH aus Diepholz. „Das ist so eine Art, die Musik zu zelebrieren, wie vielleicht ein anderer einen Wein genießt oder eine Zigarre raucht. Dafür muss ich mir Zeit nehmen.“ Ein erstes Gespür für die Renaissance der Vinylplatte hatte Neumann 1996 während der Love Parade in Berlin, wo eine Nachfrage nach Schallplatten aufkam. „Das waren zwar nicht viele in einer hohen Auflage, aber ich persönlich hatte so ein Feeling, dass die Schallplatte nicht tot ist und sich da eventuell was entwickeln könnte.“
Etwa im Jahr 2008 setzte dann der Vinyl-Boom ein; die hohe Nachfrage „hat uns völlig überrollt“, sagt Neumann – zum Vorteil für das Unternehmen, denn man war vorbereitet. Zur Verfügung standen Maschinen und Mitarbeiter mit Erfahrung. Diese waren während der Vinyl-Flaute von der Schallplattenproduktion in den CD-produzierenden Bereich gewechselt. „Viele andere Firmen hatten ihre ganzen Fertigungsgeräte für die Schallplatte vernichtet, einfach verschrottet. Die konnten gar kein Vinyl mehr machen“, erzählt Neumann.
Pallas ist nach Angaben des Geschäftsführers eines von fünf verbliebenen Plattenunternehmen in Europa. Sie produzieren und produzierten für internationale Stars wie Beyoncé, Miley Cyrus, Sam Smith, Metallica und Michael Jackson. Die Platten verkauft die Fabrik nicht direkt, sondern an Auftraggeber wie Sony Music, Universal Music Group und Warner Music Group. Diese haben Labels, in denen die Künstler unter Vertrag sind. Sony Music und die Universal Music Group seien die Hauptkunden und garantierten die Aufträge, sagt Neumann. „Hier sieht es teilweise aus wie im Fort Knox: Tore zu, Kameraüberwachung, Handys müssen abgeschottet werden“, berichtet Neumann. So werde verhindert, dass Topsecret-Aufträge vor ihrem eigentlichen Veröffentlichungsdatum auf den Markt kämen.
Nachfrage in der Pandemie gestiegen
Gerade hat man das 75-jährige Jubiläum gefeiert. Das Familienunternehmen beschäftigt rund 240 Mitarbeiter. Die Produktion läuft fünf Tage die Woche, jeweils in drei Schichten. Die Kapazitäten der Maschinen ermöglichen die Fertigung von 170.000 Schallplatten in der Woche. Für 2023 schätzt der Geschäftsführer das Gesamtvolumen der Tonträger auf weit über 13 Millionen. 2020 seien es erst rund 5,1 Millionen Tonträger gewesen.
„In der Corona-Pandemie ist die Nachfrage nach Tonträgern besonders stark gestiegen, denn die Menschen hatten viel Zeit und haben viele Vinylplatten vor allem online gekauft“, berichtet Neumann. Es sei schwierig gewesen, die vielen Aufträge abzuarbeiten. 2023 habe der Umsatz deutlich über 10 Millionen Euro gelegen.
Wie erklärt sich Holger Neumann den Vinyl-Boom trotz steigender Bedeutung von gestreamter Musik? „Das ist zwar alles Musik, aber keine Qualität“, sagt er. „Da die Tonsignale, anders als bei der CD, nicht in Datenpaketen vorliegen, hat die Vinylplatte eine höhere Klangdynamik, und die musikalische Darbietung ist somit dynamischer und gewinnt an Authentizität.“
Nach seiner Erfahrung lassen sich Tonträger besonders auf Konzerten gut verkaufen, wo die Menschen im direkten Kontakt zu der Musik stehen und sie live erleben. Sie bewahrten sich das Musikerlebnis dann auf der Schallplatte. Nach Neumann kaufen besonders zwei Altersgruppen die Schallplatten: Menschen über 50 Jahre und, was ganz verwunderlich sei, viele Jugendliche im Alter zwischen 18 und 32 Jahren.
Der Artikel stammt aus dem F.A.Z.-Schülerprojekt „Jugend und Wirtschaft“
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Bildungsministerin Stark-Watzinger sieht Schulen in der Pflicht, die Jugend für den Ernstfall zu wappnen. Dafür müssten Zivilschutzübungen abgehalten und Lerninhalte angepasst werden. Grundsätzlich brauche es ein „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“.
Schulen sind aus Sicht von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in der Verantwortung, junge Menschen auf den Kriegsfall vorzubereiten. „Die Gesellschaft muss sich insgesamt gut auf Krisen vorbereiten – von einer Pandemie über Naturkatastrophen bis zum Krieg“, sagte die FDP-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Zivilschutz ist immens wichtig, er gehört auch in die Schulen. Ziel muss sein, unsere Widerstandsfähigkeit zu stärken.“
Die FDP-Politikerin sprach sich dafür aus, Zivilschutzübungen an Schulen abzuhalten. In anderen Ländern wie Großbritannien werde viel natürlicher mit dem Thema umgegangen. „Dort gehören Übungen für den Katastrophenfall an Schulen zum Alltag. Davon können wir lernen“, sagte Stark-Watzinger.
Ministerin regt mehr Offiziersbesuche an
Sie rief die Schulen dazu auf, ein „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ zu entwickeln. „Ich halte es für wichtig, dass Jugendoffiziere in die Schulen kommen und berichten, was die Bundeswehr für unsere Sicherheit tut“, sagte sie den Funke-Zeitungen. Vorbehalte diesbezüglich könne sie „nicht nachvollziehen“.
Die jungen Menschen müssten die Bedrohungen der Freiheit kennen und mit den Gefahren umgehen können, sagte Stark-Watzinger. Das müsse kein eigenes Schulfach, aber Lerninhalt sein. Die Schulen hätten die Aufgabe, Risiken altersgerecht aufzuzeigen, sagte sie. „Dabei geht es auch darum, Sorgen und Ängsten zu begegnen.“
Eine Rückkehr zur Wehrpflicht lehnt Stark-Watzinger ab. Die Debatte über eine allgemeine Dienstpflicht nannte sie „derzeit verfehlt“. Die Wehrpflicht sei ausgesetzt worden, weil sie verfassungsrechtlich nicht mehr tragbar gewesen sei. Man dürfe jetzt nicht davon ablenken, was gerade wirklich notwendig sei, nämlich die Bundeswehr so auszustatten, dass sie verteidigungsfähig sei.
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Wir übernehmen keine Verantwortung für die Sucht“, stellt Ursula Zeller klar. Jedoch nur scherzweise. Die lebhafte Frau verkauft nicht etwa Suchtmittel, sondern ist Kuratorin der „Zurich James Joyce Foundation“. Mit dieser Stiftung beherbergt die bevölkerungsreichste Stadt der Schweiz eine der größten Forschungsstätten weltweit, die sich dem irischen Schriftsteller James Joyce und allem, was mit ihm in Verbindung steht, widmet. In einem Raum, umgeben von Regalen mit Büchern und Trouvaillen, erzählt die 64-Jährige leidenschaftlich von dem Autor, dem sie seit ihrer Studienzeit verfallen ist. Ihre roten Haare wippen zu ihren Handbewegungen. Ein Lächeln umspielt ihre Lippen. Es unterstreicht die Begeisterung, die die gebürtige Zürcherin für Joyce und sein Leben und vor allem seine Literatur hegt. Interessierte kämen von weit her, um Joyces Werke zu lesen. Die James Joyce Stiftung in Zürich bietet wöchentliche Lesegruppen an. Sie hätten Personen, die aus Basel oder Bern kämen, um jede Woche eineinhalb Stunden mit einer Lesegruppe in einem von Joyces Werken zu lesen. Doch wie kommt es zu einem solchen Joyce-Interesse in der Schweiz?
Immer an seiner Seite ist Nora
Die James Joyce Foundation befindet sich im zweiten Stock eines alten Riegelhauses mitten in der Altstadt. Durch die kleinen Doppelfenster dringen sachte Windstöße herein. Draußen herrscht graues Wetter. Die Wolken bilden eine dichte, tiefhängende Decke. Spannung liegt in der feuchten Luft. Angespannt muss es auch gewesen sein, als James Joyce durch die Straßen Zürichs schlenderte. Den Ersten Weltkrieg verbrachte der 1882 geborene Schriftsteller in der Schweiz sowie einige Wochen des Zweiten Weltkriegs. Immer an seiner Seite: Nora Barnacle, seine große Liebe. Nora war Joyces größte Inspiration und sein Halt im Leben. „Er hat nichts ohne sie gemacht“, erzählt Zeller. Das Genie Joyce war abhängig von einer „stabilen, geerdeten, selbstbewussten Person, wie es Nora war“. Sie habe eine eigene Meinung gehabt und sei geistig unabhängig gewesen von ihrem Mann. In Joyces bekanntestem Werk „Ulysses“ bildet Nora die Inspiration für die weibliche Hauptfigur Molly Bloom. Sogar sprachlich beeinflusste Nora Joyces literarische Figur. „Interpunktion hat sie nicht gekannt. Nora hat immer ohne Strich, Punkt und Komma geschrieben.“ Dieselbe Sprache ist im letzten Kapitel von „Ulysses“ zu finden, in dem Molly Bloom allein spricht beziehungsweise ihren Gedanken nachhängt.
Wichtige Jahre und enge Freundschaften in der Schweiz
Zusammen verließen Nora und James Joyce Irland, unverheiratet und nur vier Monate, nachdem sie sich kennengelernt hatten. „Das war ein absolutes Tabu“, sagt Zeller, „vor allem in den kleinbürgerlichen Kreisen des katholisch geprägten Irlands, aus denen sie beide stammten.“ Es war ein Aufbruch aus den religiösen und gesellschaftlichen Normen ihres Heimatlandes. Die Norm und die Kirche waren generell nicht Joyces Sache. Künstlerisch sowie in seinem privaten Leben rebellierte er dagegen. So heiratete das Paar auch nicht, als es zwei Kinder bekam. James Joyce erachtete sich selbst als Genie. Mit der festen Überzeugung, von Irland weg zu müssen, um ein erfolgreicher Künstler werden zu können, reiste er mit seiner Geliebten los. Das Ziel: Zürich. Das Paar zog nach seinem ersten Halt in Zürich schnell weiter, nachdem sich eine freie Stelle als Englischlehrperson als Irrtum erwiesen hatte.
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