Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge„Albträume sind anfangs völlig normal“
Korntal-Münchingen – Fast 200 sogenannte unbegleitete minderjährige Ausländer leben derzeit im Landkreis Ludwigsburg. Die Korntaler Jugendhilfe betreut rund 60 von ihnen. Die Leiterin der stationären Hilfen, Dorothea Winarske, kann viel über traumatische Erlebnisse, falsche Vorstellungen und auch Personalmangel erzählen.
Frau Winarske, der Landkreis erwartet in diesem Jahr bis zu 200 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Was bedeutet das für die Jugendhilfe in Korntal?
Das ist natürlich eine Herausforderung. Unsere Mitarbeiter müssen auf einmal viel mehr Verwaltungsarbeiten erledigen, Anträge stellen und behördliche Angelegenheiten regeln. Eigentlich kümmert sich da der gesetzliche Vormund drum, aber es ist nicht so leicht, so schnell einen zu finden.
Haben Sie denn genug Platz?
Nein. Aber wir haben auch nicht das Personal, um noch weitere Wohngruppen zu eröffnen. Wir würden gerne neue Mitarbeiter einstellen – wenn es denn welche gäbe. Wo man hinhört, ob beim Jugendamt oder in den Einrichtungen: alle suchen händeringend Personal.
Warum fliehen die Jugendlichen?
Es gibt Jugendliche, die weggehen, weil ihr älterer Bruder oder Vater plötzlich verschwunden ist, beim Militär oder bei der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Dem wollen sie entgehen. Die meisten machen sich allein auf den Weg, aber manche sind auch mit ihrer Familie geflüchtet und wurden unterwegs auseinander gerissen.
Wie wirken sich diese Erlebnisse aus?
Viele sind bei den Nachrichten im Fernsehen sehr aufmerksam, etwa wenn ein Bombenangriff auf Damaskus gezeigt wird: Wo geht die Bombe runter? Ist das in der Nähe vom Haus meiner Eltern? Sie wollen wissen, ob ihre Familie in Sicherheit ist – und wenn sie dann keinen Telefonkontakt bekommen, ist das schon eine unerträgliche Situation. Um den Schritt zu gehen, sich alleine auf den Weg zu machen oder sein Kind auf den Weg zu schicken, muss die Verzweiflung schon groß sein. Natürlich ist auch die Hoffnung groß. Was die Jugendlichen erlebt haben, ist entscheidend dafür, wie sie hier zur Ruhe kommen und ob sie sich sicher fühlen.
Haben viele falsche Vorstellungen?
Auch, ja. Die Jugendlichen denken, alles geht ganz schnell. Es ist für sie oft schwierig zu begreifen, wie lange es dauert, bis sie Deutsch können, bis sie einen Schulabschluss machen oder studieren zu können.
Setzt dann eine gewisse Ernüchterung ein?
Ja. Am Anfang sind die meisten froh, es geschafft zu haben. Wenn sie eine Weile da sind, kommen oft die Dinge hoch, die unter der Decke gehalten werden konnten, die unangenehmen, negativen Dinge. Dann erst trauern sie um die verlorenen Eltern und die verlorene Heimat. Viele sind dann in sich gekehrt, depressiv, ihnen fehlen der Antrieb und die Motivation, die anfangs da waren.
Sind viele Jugendliche traumatisiert?
Sie haben alle traumatische Situationen erlebt. Dass man Alpträume hat, ist für einige Zeit völlig normal. Ob eine längerfristige Störung entsteht, ist schwer zu sagen.
Gibt es in einem solche Fall Angebote?
Ein psychotherapeutisches Netzwerk haben wir nicht, es gibt allerdings Traumatherapeuten in der Umgebung. Die Plätze sind aber schnell vergeben. Wir versuchen, durch Strukturen Sicherheit zu geben: Schulbesuch, Sprachkurs, regelmäßige Essenszeiten. Aber wirklich eine Therapie anzubieten, möglicherweise noch in der Muttersprache – davon sind wir weit entfernt.
Gibt es auch Konflikte zwischen den Jugendlichen?
Ja. Oft aufgrund von Missverständnissen, auch sprachlichen. Das wird dann unter Umständen auch handgreiflich geregelt.
Versuchen Sie, die Jugendlichen nach Ethnien oder Herkunft zu trennen?
Wir versuchen darauf zu achten, das gelingt aber nicht immer. Oft lernen sie aber zu akzeptieren, dass es hier anders ist als sie es kennen. Dass sie jetzt mit Leuten am Tisch sitzen, mit denen sie in ihrer Kultur nie zusammen gesessen wären. Es ist uns ganz wichtig, von Anfang an zu vermitteln, wie wichtig gegenseitiger Respekt ist.
Haben die Flüchtlinge Kontakt mit deutschen Jugendlichen?
Kaum. Der Kontakt entsteht vor allem über die Schule, und dort sind die Flüchtlinge unter sich. Manchen ist es auch einfach zu viel: Sie sind so viel Fremdem ausgesetzt, in der Wohngruppe, im Alltag, dass sie froh sind, wenn sie in ihrer Freizeit mit Landsleuten zusammen sein können.
Haben Sie das Gefühl, dass die Jugendlichen sich integrieren wollen?
Grundsätzlich ja, die Bereitschaft ist da. Sie wollen Deutsch und die Kultur kennen lernen. Aber sie merken auch, dass das eine ganz schöne Herausforderung ist. Sie sehen, was hier alles anders ist und das ihre Lebensform und ihre Werte in Frage gestellt werden.
Wie optimistisch sind Sie, dass die Integration gelingen kann?
Mein Optimismus wird gerade etwas gedämpft angesichts der Massen. Wir haben die Mitarbeiter nicht, um diese vielen Jugendlichen gut betreuen oder gar integrieren zu können. Im Moment geht es um ein Notprogramm.
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Er war eine Vertrauensperson und nutzte seine Stellung aus: Ein 48 Jahre alter Lehrer soll sich an 32 Kindern und Jugendlichen vergangen haben. Das Gericht verurteilt den Mann zu sieben Jahren Haft, doch auch danach kommt er nicht auf freien Fuß.
Ein ehemaliger Grundschulleiter ist wegen mehrfachen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs und anderer Delikte am Landgericht Fulda zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Nach Ende der Freiheitsstrafe soll der 48-Jährige in Sicherungsverwahrung genommen werden, weil er nach Ansicht des Gerichts weiter eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Das Gericht sah es in dem verkündeten Urteil als erwiesen an, dass sich der 48-Jährige in über 90 Fällen an Kindern und Jugendlichen sexuell verging. Er habe dabei seine Stellung als Musiklehrer und Chorleiter und damit als Vertrauensperson ausgenutzt.
Die Öffentlichkeit war wegen des Schutzes der noch minderjährigen Opfer über weite Strecken von dem Prozess ausgeschlossen. Auch die Urteilsbegründung wurde teilweise hinter verschlossenen Türen verlesen. Das Gericht sprach von 32 Opfern, die jüngsten davon waren noch im Grundschulalter. Es könne aber sein, dass die Dunkelziffer noch viel höher liege, hieß es in der Urteilsbegründung. Einen Teil der Straftaten soll der Mann während Chorfreizeiten an schlafenden Opfern vorgenommen und sich dabei gefilmt haben.
Ermittlungen nach einem Hinweis aus den USA
Mit dem Strafmaß blieb das Gericht unter der Forderung der Generalstaatsanwaltschaft zurück, die zehneinhalb Jahre Haft und Sicherungsverwahrung gefordert hatte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der nicht vorbestrafte Ex-Lehrer hatte einen Großteil der Taten gestanden. Ein Vertreter der Anklage zeigte sich zufrieden und verwies auf die angeordnete Sicherungsverwahrung des 48-Jährigen nach Haftende. Der Verurteilte zeigte während der rund 30 Verhandlungstage seit Februar nach Angaben des Gerichts Reue über seine Taten.
Die Ermittlungen gegen den Mann waren nach einem Hinweis aus den USA wegen des Verdachts auf den Besitz und die Verbreitung von Kinderpornografie ins Rollen gekommen. „Ein Zufallsfund“, wie es in der Urteilsbegründung hieß. Bei der Durchsuchung im Haus des Mannes vor einem Jahr war belastendes Material gefunden worden, das die Grundlage für die weiteren Ermittlungen bildete. Aufnahmen seiner eigenen Straftaten soll der Mann nicht mit anderen geteilt haben.
Die Taten waren laut Urteil über viele Jahre hinweg an anvertrauten Kindern und Jugendlichen, aber auch an zufälligen Opfern verübt worden. Der 48-Jährige war nach Einschätzung des Gerichts vor Bekanntwerden seiner Taten ein „allseits geschätzter Mann aus der Mitte der Gesellschaft“ gewesen. Allerdings habe er ein auffälliges Verhalten gegenüber Kindern gezeigt, entsprechende Warnsignale seien jedoch übersehen worden.
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Bei einem Gewaltausbruch während eines Jugendfußballturniers ist ein 15-jähriger Spieler eines Berliner Teams so schwer verletzt worden, dass er künstlich am Leben erhalten werden muss. Das Opfer habe durch Schläge gegen den Kopf und den Hals „schwerste lebensbedrohliche Kopfverletzungen“ erlitten. Der mutmaßliche Täter, ein 16 Jahre alter Spieler einer französischen Mannschaft, sei vorläufig festgenommen worden und am Montag in Untersuchungshaft gekommen. Über den Zustand des jungen Spielers gab es im Laufe des Tages widersprüchliche Meldungen. Fragen und Antworten zu dem Vorfall.
„Nach bisherigen Erkenntnissen kam es gegen 16.10 Uhr, nach dem Abpfiff eines Fußballspiels, zu einem Spielertumult, der in einer Schlägerei zwischen den Spielern eskalierte“, berichten Staatsanwaltschaft und Polizei in einer gemeinsamen Erklärung am Montag. „Im weiteren Verlauf soll ein 16-jähriger Spieler aus der französischen Fußballmannschaft einen 15-jährigen Berliner Spieler gegen den Kopf bzw. Hals geschlagen haben. Daraufhin sackte der Getroffene zu Boden und wurde in der Folge reanimationspflichtig. Die alarmierten Rettungskräfte brachten den Jugendlichen umgehend in ein nahegelegenes Krankenhaus. Dort stellten die Ärzte lebensbedrohliche Hirnverletzungen fest.“
Die Polizei bittet Zeugen, die Hinweise zum Sachverhalt geben können, weiterhin, sich mit der Kriminalpolizei unter der Rufnummer 069 / 755 – 51199 oder jeder anderen Polizeidienststelle in Verbindung zu setzen. Zudem wurde ein Portal eingerichtet, über das Zeugen Bild- und Videomaterial hochladen und den Ermittlern zur Verfügung stellen können.
In einer ersten Meldung hatte die „Frankfurter Rundschau“ unter Berufung auf den Anwalt des mutmaßlichen Täters und einen Verbandsfunktionär berichtet, der Berliner sei bei dem Vorfall, zu dem es bereits am Sonntag beim „Germany Cup“ gekommen war, tödlich verletzt worden. Diesen Schilderungen widersprach die Polizei. Der 15-Jährige sei nach den Schlägen „reanimationspflichtig“ geworden. „Die alarmierten Rettungskräfte brachten den Jugendlichen umgehend in ein nahegelegenes Krankenhaus“, hieß es vonseiten der Polizei: „Dort stellten die Ärzte lebensbedrohliche Hirnverletzungen fest.“
Bei der „Frankfurter Rundschau“ hieß es zum Zustand des Jungen aus Berlin später unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft, er sei hirntot. Auf RTL-Nachfrage wollte die Staatsanwaltschaft das nicht bestätigen. Der „Bild“-Zeitung sagte die Pressestelle der Staatsanwaltschaft Frankfurt: „Er wird noch am Leben gehalten.“ Laut Polizei befindet sich der Junge in einem „sehr kritischen Zustand“.
Welche Teams waren in die Auseinandersetzung involviert?
Das Spiel, nach dem es zu dem Gewaltausbruch kam, war die Begegnung der B-Jugend des Berliner Stadtteil-Klubs JFC Berlin und einer Auswahl der Jugend-Akademie des französischen Zweitligisten FC Metz. Beide Mannschaften standen sich im Halbfinale im Rennen um Platz 5 gegenüber. Daniel Springer, 1. Vorsitzender des JFC Berlin, teilte auf Anfrage des RBB mit, dass der Verein „aus Respekt gegenüber der Familie und da es sich hier um ein offenes Verfahren handelt, […] zur Zeit keine Auskunft erteilt.“
Mit der Diagnose Hirntod ist der Tod des Menschen nach neurologischen Kriterien sicher festgestellt. „Der irreversible Hirnfunktionsausfall wird definiert als Zustand der unumkehrbar erloschenen Gesamtfunktion des Gehirns (Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm). Dabei wird durch kontrollierte Beatmung und andere intensivmedizinische Maßnahmen die Herz- und Kreislauffunktion künstlich aufrechterhalten“, heißt es in einer Definition der „Deutschen Stiftung Organtransplantation“. Der 15-jährige Berliner werde „noch am Leben gehalten“, sagte Oberstaatsanwältin Nadja Niesen.
Welche Informationen gibt es zum mutmaßlichen Täter?
Ein 16-jähriger Spieler aus dem Team des „Performance Programm“ des FC Metz wurde festgenommen und am Montag einem Haftrichter vorgeführt. Dieser erließ einen Untersuchungshaftbefehl. Laut Frankfurts Polizei wird gegen den Spieler momentan nur wegen schwerer Körperverletzung ermittelt. Weitere Angaben zum Verdächtigen machten weder Polizei noch Staatsanwaltschaft. Wie der FC Metz am Dienstag in einer Mitteilung schreibt, bestreitet der Jugendliche, „dass er dem verletzten jungen Spieler absichtlich körperlichen Schaden zugefügt hat“.
Der FC Metz „sowie alle anwesenden Spieler und Eltern stehen den deutschen Behörden selbstverständlich zur Verfügung, um dazu beizutragen, dass die Ermittlungen voranschreiten“, schrieb der Klub. „Der gesamte FC Metz ist von dieser Tragödie zutiefst schockiert und spricht dem jungen Spieler, seiner Familie sowie seinen Angehörigen seine aufrichtige Unterstützung aus.“
Was ist das FC Metz „Performance Programm“?
„Indem wir uns auf ihre sportliche Qualität, ihre Motivation und ihre Arbeitsfähigkeit stützen, wollen wir jedem Spieler ein geeignetes Sport- und Schulprogramm anbieten, das es ihm ermöglicht, sein Potenzial voll auszuschöpfen“, heißt es in der Selbstbeschreibung des Nachwuchsprogramms des Aufsteigers in die französische erste Liga. „Die internationale Fußballakademie des FC Metz ist mehr als ein Trainingszentrum, sie soll ein Sprungbrett ins Erwachsenenleben sein und die Entwicklung von Fußballern, Schülern und Individuen fördern.“ Einer der Spieler, die das Programm durchliefen, ist der Senegalese Sadio Mané, der aus Metz erst zu Red Bull Salzburg wechselte, beim FC Liverpool zum Weltstar wurde und inzwischen für den FC Bayern München in der Bundesliga spielt.
Gewalt im Jugend- und Amateurfußball: Passiert so etwas öfter?
In seinem jährlichen Lagebild zur Gewalt dokumentierte der Deutsche Fußball-Bund für die Saison 2021/2022 3544 durch Schiedsrichter gemeldete Gewalthandlungen im deutschen Jugend- und Amateurfußball. Erst im April war ein Schiedsrichter in Frankfurt von einem C-Jugend-Spieler mit zwei Faustschlägen im Gesicht getroffen worden.
Der Hessische Fußball-Verband (HFV) zeigte sich „fassungslos“ und „schockiert darüber, dass ein Jugendlicher durch Gewalt auf einem hessischen Fußballplatz um sein Leben kämpft“, sagte HFV-Vizepräsidenten Silke Sinning. „Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen des Jungen.“
Der Germany Cup ist eine international besetzte Turnierserie für Jugendteams für alle Altersklassen an zwölf Standorten in ganz Deutschland. Veranstaltet wird der Germany Cup von einer Agentur aus dem fränkischen Feucht. Das Turnier in Frankfurt war die vierte Veranstaltung in diesem Jahr. Sie fand unter anderem auf der Anlage des SV Viktoria Preußen statt, wo die Partien der U17 ausgetragen wurden und wo es am Sonntag, dem letzten Tag des dreitägigen Turniers, zu dem folgenschweren Vorfall kam. Das Turnier der U17 wurde nicht zu Ende gespielt. Die Veranstalter des Germany Cup haben sich nicht öffentlich zu dem Vorfall geäußert.
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Geht es um die von der Ampel geplante Cannabislegalisierung, wird vor allem über eines gesprochen: Jugendschutz. Gesundheitsverbände und Oppositionspolitiker warnen, dass deutlich mehr junge Menschen zu der Droge greifen, sobald sie erstmal freigegeben ist. Und das könne wiederum schwere Folgen haben. Die Hirnentwicklung wird geschädigt, die Intelligenz nimmt ab, die Aufmerksamkeit lässt nach. Was an den Warnungen dran ist, darüber spricht Suchtexperte Heino Stöver mit ntv.de.
ntv.de: Herr Stöver, von Befürwortern einer Legalisierung wird behauptet, dass Cannabis vom Schwarzmarkt häufig zu stark und deshalb zu gefährlich sei. Können Sie uns das kurz erläutern?
Heino Stöver: THC ist der primäre Wirkstoff in Cannabis, er löst den Rausch aus. CBD ist wiederum der Gegenspieler, es schwächt die Wirkung von THC ab. Auf dem Schwarzmarkt können wir davon ausgehen, dass der THC-Gehalt deutlich höher als der von CBD ausfällt. Das ist ein Problem. Die psychische Verträglichkeit wird über die Balance der beiden Wirkstoffe geregelt. Fällt der Anteil der psychoaktiven Substanz deutlich höher aus, kann es schnell ungemütlich werden.
Was unterscheidet CBD von THC?
CBD steht für Cannabidiol. Das ist einer von mehr als 100 Wirkstoffen, die sich in der Cannabispflanze wiederfinden. Anders als THC, das bekannteste Cannabinoid, hat CBD keine berauschende Wirkung und fällt damit nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Es wirkt trotzdem, nur anders. Die Forschung sagt, dass es zum Beispiel beim Konzentrieren hilft und man damit besser schlafen kann. Auch Entzündungen können vermieden werden, Muskeln scheinen sich nach dem Sport besser zu entspannen.
Jedoch wissen häufig weder Dealer noch Konsument, was in der Ware steckt. Es wird gekauft, was knallt. Das hat etwas von einem Schnapsregal, in dem alle Flaschen gleich aussehen und weder Etikett noch Angaben zum Alkoholgehalt haben. In einem regulierten Markt wäre das nicht der Fall. Mittels eines rechtlichen Rahmens könnten Erzeuger verpflichtet werden, die beiden wesentlichen Wirkstoffe in Balance zu halten.
Was genau passiert im Gehirn, wenn man Cannabis konsumiert?
Hier muss ich etwas ausholen: Wir besitzen alle in unserem Körper und Gehirn Bindungsstellen für Cannabinoide, die wiederum unser Nervensystem im Gleichgewicht halten. Da unser Nervensystem sehr viele Informationen verarbeitet und weiterleitet, kann natürlich schnell was aus dem Ruder geraten. Ist das der Fall, werden körpereigene Cannabinoide freigesetzt. Das Nervensystem wird dadurch wieder in die Bahn gebracht – über biochemische Prozesse. Etwa, indem bestimmte Botenstoffe geblockt und andere freigesetzt werden.
Nun gibt es auch ruhige Phasen, in denen Cannabinoide überhaupt nicht nötig sind, das System ist inaktiv. Fügen wir unserem Körper THC zu, etwa indem wir einen Joint rauchen, jagen wir selbst Cannabinoide durch unseren Körper, die an die entsprechenden Rezeptoren andocken. Wieder werden bestimmte Stoffe geblockt und andere freigesetzt, nur ist es diesmal nicht wirklich nötig. So verändert sich unsere Wahrnehmung, unser Schmerzempfinden, es kommt zum Rausch.
Wenn unser Körper Cannabinoide kennt, warum ist der Cannabiskonsum dann nicht unbedenklich?
THC aktiviert völlig unbegründet unsere körpereigenen Cannabinoid-Rezeptoren. Das kann physiologische Prozesse in Körper und Gehirn ins Ungleichgewicht bringen, was sich auf das Gedächtnis, aber auch den Blutdruck auswirken kann. Außerdem gewöhnt sich der Körper an das ständige Vorhandensein von Cannabinoiden. Die körpereigene Produktion fährt entsprechend runter. Vor allem für junge Menschen kann das problematisch sein.
Gehirn und Nervensystem befinden sich bei Heranwachsenden noch in der Entwicklung. Im jugendlichen Gehirn wird viel umgebaut, Neurochemie, Kommunikation der Areale, sogar die Nervenfasern, alles ist eine große Baustelle. In vielen Botenstoffsystemen gibt es in der Pubertät zudem eine erhöhte Anzahl an Bindungsstellen. Studien zeigen, dass das Endocannabinoid-System in jungen Jahren zudem deutlich aktiver ist. Entsprechend kann es deutlich stärkere Effekte haben, wenn es mittels Cannabis aktiviert wird.
Welche Risiken bringt das mit sich?
Der Rausch kann intensiver sein, Nebenwirkungen wie eine Konzentrationsschwäche, Müdigkeit, Apathie wiederum stärker. Auch kann sich der Konsum auf die Hirnentwicklung auswirken, das gilt aber für alle Rauschmittel. Es gibt Studien, die zeigen, dass sich die Hirnsubstanz von Heranwachsenden bei regelmäßigem Cannabiskonsum verändert. Demnach soll die graue Hirnsubstanz zunehmen. Ungeklärt ist aber, was genau das bedeutet. Das gilt jedoch nur bei dauerhaftem Konsum. Natürlich gibt es auch Fälle, bei denen bereits der gelegentliche Griff zum Joint, überspitzt ausgedrückt, gefährlich werden kann. Dazu zählen Menschen mit einer Neigung zu psychischen Erkrankungen.
Kann sich das Gehirn von jungen Menschen nach dem jahrelangen Konsum regenerieren?
Wenn ich viele Jahre konsumiere, können bestimmte neuronale Prozesse gebremst werden, was sich auf die kognitiven Leistungen auswirkt. Solche Folgen können auch dauerhaft sein. Doch wie gesagt, es kommt auf die Menge an, aber auch die Verfassung der Konsumenten. Natürlich muss ich bei Cannabis hervorheben, dass die Folgen im Vergleich zu anderen Rauschmitteln deutlich milder ausfallen. Bei Alkohol sind die Folgeschäden drastischer. Generell können wir festhalten: Je später die Menschen anfangen, desto besser. Einerseits mit Blick auf die Hirnentwicklung, andererseits mit dem Erlernen von Kontrollfähigkeiten.
Wie hoch ist eigentlich die Suchtgefahr bei Cannabis?
Bei Cannabis ist die Abhängigkeit psychologisch geprägt, ähnlich wie bei Zigaretten. Das Rauschverhalten ist dabei an verschiedene Wohlfühlmomente gekoppelt, etwa die Zigarette nach dem Sex, nach dem Essen, beim Spaziergang zur Arbeit. Auch bei Cannabis sind der Konsum und der damit verbundene Rausch häufig situationsbezogen. Ebenso stellt sich bei der Sucht immer die Frage, wie weit die Menschen gehen würden, um ihr Bedürfnis zu befriedigen. Das kann von horrenden Ausgaben bis hin zum Gang in die Illegalität gehen.
Wie können sich Betroffene von dieser Sucht lösen?
Zum einen wären da selbstauferlegte Regeln, etwa keinen Konsum vor der Arbeit, nicht vor 18 Uhr, nicht nach dem Sex. Situationsbedingter Konsum müsste reflektiert angegangen werden. Natürlich ist das kein Patentrezept, aber ein Schritt. Zum anderen wäre die Legalisierung hilfreich. Außerdem könnte man das Thema Cannabiskonsum deutlich anders thematisieren, es offener diskutieren. Kanäle, die gerade unter jungen Menschen beliebt sind, etwa Instagram oder Tiktok, könnte man auch dafür nutzen, offen aufzuklären. Hier müssten aber Politik und Suchtberater passende Strategien entwickeln. Wie sie das Thema aktuell angehen, eher pädagogisch und belehrend, funktioniert das natürlich nicht.
Ein Argument gegen Cannabis ist der Jugendschutz. Vor allem geht es darum, dass mehr junge Menschen zu der Droge greifen, sobald sie freigegeben ist. Doch besteht dafür wirklich die Gefahr?
Das kommt darauf an. Je nach Zeitraum kommen Erhebungen dazu zu unterschiedlichen Ergebnissen. Der Wissenschaftliche Dienst hat sich etwa angeschaut, wie sich das Cannabis-Konsumverhalten kurz nach einer Legalisierung unter anderem in den USA, Portugal und Kanada verändert hat. Demnach ist die Zahl der Konsumenten wohl rückläufig, wenn auch nur leicht. Eine andere Erhebung zeigt jedoch, dass mit zunehmender Dauer der Legalisierung die Zahlen zunehmen. Man muss das differenziert betrachten. Interessant ist, dass die Old-School-Drogen, also Alkohol und Tabak, unter jungen Menschen deutlich weniger beliebt sind als noch vor 20, 30 Jahren. Bei Cannabis stagnieren wiederum die Zahlen. Dennoch könnte es sich auch hier ähnlich entwickeln.
Mit Heino Stöver sprach Tim Kröplin
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