Begegnungen in der jüdischen Gemeinde von Zagreb

Begegnungen in der jüdischen Gemeinde von Zagreb

Lea Kriesbacher ist nicht groß und doch kaum zu übersehen, denn sie trägt ein geradezu umwerfendes Lächeln im Gesicht. Immer nur ernsthaft zu sein führe zu Depression und Gewalt, sagt sie. „Natürlich sollte man Grundschülern nicht jeden Witz erzählen, aber man sollte bereits jungen Menschen mit Humor begegnen. Humor ist lebenswichtig.“ Lea Kriesbacher muss es wissen. Nicht so sehr, weil sie Witze aus dem Deutschen und Ungarischen ins Kroatische übersetzt. Die 90 Jahre alte Frau jüdischer Abstammung ist nur knapp in Budapest einem Transport ins Vernichtungslager Auschwitz und den Erschießungen am Ufer der Donau entwischt, wie sie lachend erzählt.

Ihre Schulfreundin Ruth Dajč, 91 Jahre alt, hat den Holocaust ebenfalls überlebt. Als Ruth Perl geboren, hieß sie nach der Hochzeit lange Deutsch, bis sie den Namen kroatisieren ließ. Ihr Vater wurde im Konzentrationslager Jasenovac, etwa 90 Kilometer südöstlich von Zagreb, ermordet. Ruth Dajč überlebte, weil sie sich in einer Kirche versteckte, von Nonnen gefunden und vom katholischen Bischof Alojzije Stepinac getauft wurde, um sie in einem Kloster vor weiterer Verfolgung zu schützen. Außer ihr hat nur die Mutter aus der Familie überlebt. „Mein Bruder war bei den Partisanen, deshalb kam meine Mutter ins Gefängnis und war noch dort, als die Deportationen durchgeführt wurden“, erklärt die weißhaarige Frau mit festem Blick. Von 1950 bis 1954 lebte sie in Israel, diente in der Armee, kehrte aber auch wegen ihrer erkrankten Mutter nach Kroatien zurück.

Vor dem unscheinbaren Haus steht ein Polizist

Für ihr Recht kämpfte sie lange vergeblich: „Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Atmosphäre für uns Juden in Jugoslawien auch nicht sehr angenehm.“ 1947 wurde die Fabrik ihres Vaters enteignet und später völlig zerstört. Erst 2012 hat sie das Gelände zurückerhalten. Dabei geht es ihr weniger um materielle Werte. „Man muss bescheiden leben“, sagt sie. „Ich habe als Kind zum Geburtstag Schuhe bekommen, die drei Nummern zu groß waren, damit ich sie lange tragen konnte.“ Dajč trägt einen Davidstern an ihrer Halskette, vor allem ein Ausdruck kultureller Zugehörigkeit, denn sie sieht sich als Atheistin. Das jüdische Gemeindezentrum in Zagreb befindet sich in einem unscheinbaren älteren Reihenhaus im Zentrum. Würde nicht eine dunkelbraune Kabine mit abgedunkelten Fensterscheiben vor der schweren Eingangstür und davor ein Polizist stehen, man würde einfach so vorbeilaufen. Über vier Stockwerke sind hier die Synagoge, Seminar- und Ausstellungsräume, aber auch ein großer, mit bequemen Möbeln ausgestatteter Begegnungsraum untergebracht.

Mit Lea Kriesbacher und Ruth Dajč treffen sich hier montags zwischen 10 und 12 Uhr 20 bis 30 ältere Frauen. „Es ist gleichzeitig ein Freundeskreis und Familienersatz“, sagt die 75-jährige Bojana Hodalić, „wir treffen uns hier, plaudern, und vielleicht einmal pro Monat besuchen wir eine Ausstellung oder machen einen Ausflug.“ In Vinkovci, im Osten Kroatiens hat Hodalić 30 Jahre als Ökonomin gelebt und gearbeitet. Nach dem Tod ihres Mannes, eines katholischen Kroaten, ist sie nach Zagreb gezogen. Ihre eigene Familie war im 19. Jahrhundert aus Deutschland nach Kroatien zugewandert. „Mit meiner Mutter wurde in der Familie Deutsch gesprochen“, erzählt sie. So wie Lea Kriesbacher und Ruth Dajč ist sie spontan bereit, das Gespräch in deutscher Sprache zu führen.

Als schicksalhafte Identität präsent

Bojana Hodalić wurde am 15. April 1941 in Zagreb geboren. „Im Mai 1941 wurden wir nach Belgrad ausgewiesen“, berichtet sie. „Das war für uns ein großes Glück, denn mehr als 50 unserer Familienmitglieder sind im Holocaust ums Leben gekommen. Nur meine Eltern und eine Großmutter haben überlebt.“ 1947 siedelt die Familie nach Osijek in Ostkroatien um. Über den Holocaust wurde in der Familie nicht gesprochen. „Aus Selbstschutz war das Thema tabu“, sagt Hodalić. „Aber jüdisches Leben spielte in der jugoslawischen Gesellschaft Titos auch keine Rolle.“ Ihrer Tochter, heute 52 Jahre alt, habe sie auch deshalb keine jüdische Tradition vermittelt. „Wir wollten sie nicht mit der Familiengeschichte belasten.“ Und doch war der jüdische Kontext in der Familie immer präsent, „aber nicht aus religiösen Gründen, sondern als schicksalhafte Identität“.

Sie können mehr von den nachrichten auf lesen quelle

Weer

Weather Icon
background