„Bye bye, Beige!“: Greta Silver definiert das Alter neu

Das Alter – eine komplizierte Sache. Denn alt werden wollen wir unbedingt, aber alt sein? „Alt „- dieses Wort ist oft mit negativen Eigenschaften verbunden, fast schon ein Schimpfwort. Nicht so für Greta Silver, geboren 1948, die bereits in jüngeren Jahren die Verantwortung für ihr Glück selbst in die Hand nahm. Das Alter entdeckt die Autorin, millionenfach geklickte Youtuberin, Podcasterin, Speakerin, Mentorin und Best-Ager-Model viel mehr als begeisternde Lebensphase, in der das Lebensknowhow einen trägt und der Stress und die Zeitnot von früher endgültig der Geschichte angehören. Die Unternehmerin, Mutter und Großmutter macht anderen gerne Mut: Ihr neues Buch zeigt Frauen, was sie ganz konkret tun können, um sich selbst zum Leuchten zu bringen. Silver teilt Ernährungstipps und eigene Rezepte, die den Körper reinigen und mit Energie füllen, gibt Ratschläge zum Thema Pflege und erklärt, wie man seine inneren Ressourcen auftankt, neue Kraft gewinnt und für sich Schönheit im Alter praktisch und mental neu definieren kann. Die Hamburgerin steckt mit ihrer Lebensfreude einfach an, wie ntv.de bei einem feinen Lunch in der Berliner „Paris Bar“ am eigenen Leib erfahren durfte.

ntv.de: Mir sitzt eine überaus natürliche 74-Jährige gegenüber, von der man, wenn man Fotos über die Jahre betrachtet, behaupten kann, dass sie immer schöner wird. Bist du zwischendurch nicht doch mal in Versuchung gekommen, „was machen zu lassen“?

Greta Silver: Also, ich habe vor langer Zeit schon, als ich das Foto einer alten Indianerin sah, das ganze Gesicht voller Falten, aber doch so schön, so liebevoll und voller Weisheit, beschlossen, mich niemals wieder über eine Falte in meinem Gesicht aufzuregen. Das kann es doch nicht sein, dachte ich mir. Von da an habe ich tatsächlich angefangen, Ende 40, mich diesem Diktat zu entziehen. Ich komme aus Marilyn Monroes Zeiten mit ihrer Sanduhrfigur, dann kam Twiggy – irre dünn – und jedem dieser Idole sollte man irgendwie gerecht werden. Das ist doch irre.

Und jetzt können wir so sein, wie wir wollen?

Es ist auf jeden Fall eine Entwicklung zu beobachten. Die könnte in meinen Augen zwar zügiger laufen, aber es geht doch voran. Trotzdem gibt es immer noch viel zu viele Mädchen, die ein Schema im Kopf tragen, wie sie zu sein haben. Das ist nach wie vor nicht gut.

Deine Tochter jedenfalls, die als Studentin gemodelt hat, hat dich mitgerissen in die schöne neue Model-Welt, oder?

Das stimmt, sie ist schuld an allem (lacht). Damals ging es um einen Mutter-Tochter-Job und sie musste mich echt überreden. Zum Glück hat sie das getan. Ich hatte recht starke Bilder im Kopf, die mir gesagt haben: „Greta, nee, in deinem Alter geht das nicht.“ Ich habe das nicht mal meinen Freundinnen erzählt, so schlimm fand ich das.

Und wie fandest du zum Schluss die Bilder, die dabei entstanden sind?

Cool. Ich sah mal ganz anders aus als sonst. Geld gab es auch und weh tat es nicht (lacht). Letztendlich habe ich mich bei der Agentur meiner Tochter angemeldet, da habe ich schnell einen weiteren Job bekommen.

Da war ich dann die Oma in dem Spot eines Kaffeeherstellers.

Na klar. Aber was soll man machen? (lacht) Ich habe neulich eine Altersforscherin kennen gelernt, Dr. Verena Klusmann, die leitet und koordiniert seit 2017 Altersstudien weltweit – und was sie herausgefunden hat, ist wirklich beeindruckend. Wir werden nämlich genau so alt, wie wir uns das vorgestellt haben, sagt sie.

(lacht) Wenn wir eine positive Einstellung haben, bleiben wir gesünder und leben länger, und zwar 7,6 Jahre.

Dann würde ich 87,6 Jahre alt werden. Ich versuche mal, mir das zu merken und achte dann in meinem 88. Jahr darauf, wie ich mich Ende Mai, Anfang Juni so fühle …

Du musst das mal so sehen: zwischen 60 und 90 liegen 30 Jahre, genau so viele wie zwischen 30 und 60. Das haben ja die wenigsten auf dem Schirm.

Es sind aber total andere 30 Jahre. Und manche sterben auch schon mit 77. Als meine Mutter in diesem Alter starb, war das wie eine Ohrfeige für mich …

Das ist tatsächlich eine Frechheit vom Leben, mit 77, sehr schwer als Angehöriger. Für diese Trauer muss Zeit und Raum sein. Und trotzdem sollte man zuversichtlich bleiben. Die Hirnforschung weiß: Dein Gehirn serviert die Bilder zu deinen Gedanken. Wenn du also denkst: „Das Alter ist doch Mist“, dann bekommst du auch die entsprechenden Bilder dazu. Wenn du aber denkst: „Ich bin mal gespannt, was die Zukunft noch so bringt“, dann siehst du andere Bilder und dann wirst du mutig und entscheidungsfreudiger.

Wie erreicht man diese Denkweise am besten?

Die meisten haben doch auch schon schwierigere Zeiten im Leben durchgemacht, ich natürlich auch. Da hab ich mich dann auf den Hosenboden gesetzt und einiges begriffen. Ich hatte mir, mit meinem Mann, immer sechs Kinder gewünscht, und im Endeffekt bin ich drei Jahre lang gar nicht schwanger geworden. Ich war tieftraurig. Dann stellten wir uns die Frage, ob wir ein Kind adoptieren wollen – in dem Monat wurde ich schwanger. Ich muss gestehen, dass ich einen Heidenschreck bekommen habe, denn ich musste mich fragen, ob ich allein mit der Kraft meiner Gedanken körperliche Abläufe verändert habe. Über dieses Gedanken-Karussell habe ich meine letzten beiden Bücher geschrieben, und jetzt kommen die Themen Bewegung und Ernährung dazu.

Dein neues Buch heißt „Bring dich selbst zum Leuchten – Schönheit im Alter“ …

… ja, und ich habe mir Gedanken gemacht, warum es immer eher die jungen Frauen sind, die detoxen und alles mitmachen. Das können wir Älteren auch! Dazu brauchen wir keine Zauberkräfte und es muss auch nicht alles unglaublich teuer sein. Ich habe immer eher so handfeste Tricks in der Reserve. Natron in der Badewanne gegen Übersäuerung zum Beispiel.

Habe ich nie gerne gemacht (lacht). Ich dachte hinterher immer, ja, war doch ganz nett, aber ich habe mich jetzt nie darauf gefreut, wie zum Beispiel eine meiner Schwestern. Ich muss immer eher so zwischendurch ein paar Übungen machen, heimlich: zehn Kniebeugen im Bad oder Hula-Hoop gleich nach dem Aufstehen.

Du bist nicht in einem Fitnessstudio angemeldet …

Um Himmels Willen, nein. Ich tanze in einem Turnverein Zumba. Aber das hab ich etwas schleifen lassen in der Corona-Zeit.

Oh ja, sehr gerne! Die Kinder dürfen mich auch Oma nennen, das ist ja etwas aus der Mode gekommen. Oma zu sein, ist eine unglaublich schöne und warme, zusätzliche Seite in meinem Leben. Ich genieße das sehr. Man guckt nun nicht mehr mit Eltern-Augen, man kann ganz anders in das Staunen reingehen.

Was anderes zum Staunen: die Liebe. Wie sieht es da bei dir aus?

Die Liebe ist eine Wahnsinnskraft (lacht), aber das hast du nicht gemeint, ich weiß. Ich bin mit dem Motto „Liebe stellt keine Forderungen“ in die Ehe gegangen. Und das hat an vielen Stellen sicher auch geholfen, weil ich, obwohl mein Mann über die Jahre so wegbröselte, noch 23 Jahre bei ihm geblieben bin.

Das würde heute ja kaum eine Frau noch machen, oder?

Ja, vor allem, weil es sich auch ganz vortrefflich ohne Mann lebt. Doch das ist nicht die ganze Bandbreite des Lebens. Nur aus Angst vor Verletzungen dichtmachen wollte ich nicht, in meinem tiefsten Innern jault noch etwas. Eins meiner wichtigsten Themen ist daher, sich wieder verletzbar zu machen, voll Ja zu sagen zu jemandem und zum Leben. Voller Chancen und ohne Vorsichtsmaßnahmen.

Hast du denn mal so richtig Mauern aufgebaut?

Als junge Frau auf jeden Fall: dick wie Gefängnismauern, so dass ich mich kaum noch bewegen konnte. Ich war voller Bedenken.

Der TedX-Talk von Brené Brown „Die Macht der Verletzlichkeit“. Und ich mir selbst. Wenn dann die Bombe einschlägt, dann schlägt sie ein! Das muss man dann zulassen. Es ist allerdings nicht so, dass momentan mein Postfach überquillt vor lauter Anfragen (lacht). Ich möchte aber diese Offenheit haben – was dann daraus entsteht, das werden wir sehen.

Guckst du dich denn um? Oder schauen gleichaltrige Männer immer noch nach 20 Jahre jüngeren Frauen, die sie, mal flapsig gesagt, dann im Zweifel noch ein bisschen länger pflegen können?

Ich bin nicht auf der Suche, das ist schon mal gut. Auf meiner Stirn steht aber anscheinend auch nicht geschrieben: „Ich würde die Einladung zum Tee durchaus annehmen.“ Es fragt gerade niemand. Aber: Jeder ist für sein Glück alleine zuständig! Eine Beziehung ist natürlich so eine Art Sahnehäubchen auf der Torte. Ich habe die Themen Männlichkeit und Weiblichkeit nun wirklich durchgekaut und dann vor einiger Zeit doch festgestellt, dass es mein eigenes Ding ist, wenn ich Eigenschaften wie Dienen, Demut oder Hingabe mit Weiblichkeit assoziiere und auch negativ konnotiere. Dafür aber Worte wie Durchsetzungsstärke positiv und männlich besetze. Da dachte ich, hier läuft doch was nicht ganz rund in meinem Kopf, und da musste ich mal rangehen und mir die Worte zurückholen.

Dienen: Wenn das, was ich tue, jemandem dient, dann heißt das nicht, dass ich auf Knien vor einer anderen Person schlittern muss, sondern dass ich King of the Road bin. Und dann hinkt dieser Vergleich „der liebe Gott hat die Männer zwar ein bisschen zu kurz kommen lassen, aber auf der anderen Seite mit den tollsten Eigenschaften ausgestattet, die ich auch gerne haben möchte“ – da stimmt doch was nicht.

Es hört also nie auf, dass man dazulernt.

Ja, auch mit 74 kommt man sich selbst noch auf die Schliche!

Auf Youtube, bekommst du da auch mal „Shitstorms“?

Kaum. Aber ein junger Mann hatte mal gefragt, was ich Alte hier zu suchen hätte. Da habe ich ihm ganz höflich geantwortet: „Dir zeigen, was man im Alter Spannendes machen kann.“ Er antwortete dann, dass er mit 34 sowieso vor den Baum fahren würde. Da kann man wenig machen, das sortiere ich auch nicht als Hating oder Bashing ein. Das ist einfach nur schade für den anderen. Meine Community ist ja toll! Ich habe manchmal das Gefühl, dass die meine Videos als etwas Neues in ihrem Leben sehen, als Inspiration. Es gibt auch Schüler, die mir schreiben.

Einer schrieb mir, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, da hatte ich auch mal drüber gesprochen. Er fragte, wie er sich verhalten solle, nachdem er geklaut hatte und ihm das sehr unangenehm war. Ich habe ihm geantwortet, er hat gehandelt, es wurde alles wieder gut. Einen Strohhalm zu reichen, aus einer vermeintlich ausweglosen Situation, das macht mich glücklich. Und wenn ich jungen Menschen ein Stück Stabilität mitgeben kann.

Mit Greta Silver sprach Sabine Oelmann

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