Frust-Schub bei den Abgehängten

Es ist auf den ersten Blick die gute Nachricht des Tages: Deutschlands Jugend ist optimistisch, sie hat trotz Wirtschaftskrise, trotz der lange düsteren Prognosen den Mut nicht verloren. 59 Prozent blicken zuversichtlich in die Zukunft, neun Prozentpunkte mehr als noch 2006 und damit vor der Wirtschaftskrise.

Doch die neue Shell-Jugendstudie hat auch eine andere Botschaft: „Die Kluft zwischen den sozialen Schichten ist nicht neu, aber sie vertieft sich“, sagte Studienleiter Mathias Albert. Nur jeder dritte Jugendliche aus sozial schwachen Familien blickt zuversichtlich in seine Zukunft.

Albert sprach bei der Präsentation der Studie von „sozial Abgehängten“, die zehn bis 15 Prozent der jungen Menschen ausmachten. Sie seien sowohl pessimistisch eingestellt als auch politisch kaum engagiert und hätten wenig Vertrauen in die Familie.

Der Bildungserfolg von Jugendlichen hängt in Deutschland so sehr von der sozialen Herkunft ab, wie in sonst kaum einem Land. Das moniert seit Jahren die OECD, das ist das Ergebnis aller Vergleichstudien zu den Leistungen und Karrieren der Schüler. Die Shell-Studie fügt dem nun die Einschätzung derjenigen hinzu, die hinter den Zahlen und Statistiken stehen. Und die ist pessimistisch, wenn die sozial Benachteiligten zu Wort kommen.

Die Kluft hat Folgen für Demokratie und Gesellschaft

Die Shell-Untersuchung wurde gemeinsam von Bielefelder Sozialwissenschaftlern sowie einem Expertenteam des Münchner Forschungsinstituts TNS Infratest Sozialforschung verfasst. Für die Studie wurden Anfang des Jahres mehr als 2500 Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren zu ihrer Lebenssituation, ihren Glaubens- und Wertvorstellungen sowie ihrer Einstellung zur Politik befragt. Fast ein Viertel der Befragten zählte zur Unterschicht und unteren Mittelschicht.

Drei Viertel der befragten jungen Menschen aus der Mittel- und Oberschicht gehen davon aus, dass sich ihre beruflichen Wünsche erfüllen werden. Bei den jungen Menschen aus sozial schwachen Familien sind es nur vier von zehn.

Die Kluft ist eklatant, auch in anderen Bereichen – und das zeigt die Folgen der Bildungsmisere für Gesellschaft und Demokratie: Das Interesse der jungen Menschen an politischen Themen ist zwar allgemein gestiegen, doch dazu haben allein Mitglieder der Ober- und Mittelschicht beigetragen. Auch hier zeigen sich Jugendliche aus sozial schwachen Familien resigniert.

Die Diagnose ist deutlich – die Reaktionen entsprechend heftig

Und nicht nur ihr Interesse an Nachrichten und gesellschaftlichen Debatten ist niedriger: Sie engagieren sich auch seltener sozial. „Aktivität und Engagement sind bildungs- und schichtabhängig“, so die Autoren in einer Zusammenfassung der Studie. „Je gebildeter und privilegierter die Jugendlichen sind, desto häufiger sind sie im Alltag aktiv für den guten Zweck.“ Zugleich gilt: Je weniger gebildet sie und ihre Eltern sind, desto mehr Zeit verbringen sie vor Fernseher und Computer, desto häufiger nutzen sie das Internet zum Spielen, desto seltener lesen sie.

Die Diagnose ist deutlich – die Reaktionen entsprechend heftig. „Die Gesellschaft schadet sich selbst massiv, wenn die Zukunftschancen der Kinder bereits im Kreißsaal ausgemacht sind“, sagte der Bundesvorsitzende der Grünen, Cem Özdemir. Er sprach von einem „Hilfeschrei an die Politik“. Es sei an der Zeit, „endlich für Chancengerechtigkeit in unserem Bildungssystem zu sorgen, gerade benachteiligte Kinder besser zu unterstützen und ideologische Debatten zu entsorgen“.

Jugendliche erwarten von Politikern und Parteien kaum etwas

Entscheidend für Lebenswege sei eine Unterstützung zum richtigen Zeitpunkt, sagt Wissenschaftler Albert. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) warb angesichts der Studienergebnisse für die frühkindliche Bildung. Die übernächste Shell-Jugendstudie werde zeigen, ob sich die geplanten Investitionen für Sprach- und Integrationsförderung auszahlen werden. Hierfür stünden von 2011 bis 2014 zusätzlich rund 400 Millionen Euro in sogenannten Brennpunkt-Kitas bereit.

So lange will die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, nicht warten: Die heutigen Jugendlichen ohne Schulabschluss würden von der Bundesregierung ausgeblendet und vernachlässigt, kritisierte sie.

Die Jugendlichen selbst werden aus politischen Debatten oder Programmen nicht mehr und nicht weniger Hoffnung schöpfen: Ihr Vertrauen in Bundesregierung und Parteien ist ähnlich gering wie das in Banken.

Das Ergebnis der Studie wird das Bild der heutigen Jugend für die nächsten Jahre mit prägen: Kaum eine Untersuchung ist in diesem Bereich derart hoch angesehen und wird so häufig zitiert. Wer künftig gute Nachrichten über die Jugend von heute verbreiten möchte, kann sich auf sie beziehen. Wer Belege für Missstände sucht, wird ebenfalls nicht um sie herumkommen.

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