Fußball-WM: Ronaldo, der allgegenwärtige Bankdrücker

Portugal gegen die Schweiz. Achtelfinale. Beide Teams nehmen Aufstellung, die Hymnen werden gespielt. Doch die meisten Fotografen und Kamerateams haben dem Spielfeld den Rücken gedreht. Fast alle Blicke und Objektive sind auf einen Portugiesen gerichtet, der vor der Auswechselbank steht und nicht von Beginn an mitspielen darf: Cristiano Ronaldo. Der Star der Mannschaft befindet sich nicht auf dem Platz. Und doch oder gerade deshalb absorbiert er die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Das dürfte auch an diesem Samstag (16 Uhr/ZDF) so sein, wenn Portugal im Viertelfinale Marokko gegenübersteht – und Ronaldo wohl erneut zuschauen muss.

37 ist der Angreifer inzwischen. Ein biblisches Alter für einen Fußballprofi, der in der Weltspitze mitmischen möchte. Der Kroate Luka Modric, Ronaldos langjähriger Teamkollege bei Real Madrid, ist genauso alt. Modric bekommt es noch ganz gut hin, ist aber nicht nur ein anderer Spielertyp, sondern erfüllt auch eine andere Rolle. Der Kroate kompensiert seine nachlassende physische Robustheit mit Erfahrung, seiner Fähigkeit zur Antizipation, einer herausragenden Technik und Spielintelligenz.

Ronaldos Quoten sind atemberaubend, ob man ihn mag oder als Selbstdarsteller verachtet. Nicht atemberaubend, aber doch ziemlich beeindruckend war der Auftritt seiner Nationalelf-Kollegen beim Sieg im Achtelfinale gegen die Schweiz. Das 6:1 zeigte: Es geht auch ohne Ronaldo. Sehr gut sogar. Ronaldo-Ersatz Gonçalo Ramos vom FC Porto erzielte drei Tore. Es war ein Statement.

Der Superstar hockt im Achtelfinale lange auf der Bank – und Portugals Auswahl dreht wie befreit auf. Der 37-Jährige sieht eine glorreiche Zukunft fürs Team. Ein früherer DFB-Kapitän hat kein Mitleid.

Cristiano Ronaldo schaute zu und jubelte mit. Möglicherweise ist dem 37-Jährigen in dem Augenblick klargeworden, dass er sich selbst ins Abseits katapultiert hat. Wie schon bei Manchester United, seinem bislang letzten Arbeitgeber. Dort klagte Ronaldo in Interviews lautstark über mangelnde Unterstützung und seine Reservistenrolle, provozierte damit seinen Rauswurf.

Im letzten WM-Gruppenspiel gegen Südkorea (1:2) stampfte der Superstar – Trainer Fernando Santos hatte es tatsächlich gewagt, ihn auszuwechseln – missmutig und schimpfend vom Platz. „Wir stehen in einem engen Austausch. Er ist unser Kapitän. Deshalb muss ich mit ihm sprechen“, sagte Santos am Freitag in Doha.

Nach großer Nähe zu seinem Kapitän hörte sich das nicht an. Der erfahrene Coach dementierte Meldungen, wonach sein Superstar Katar nach dem Achtelfinale vorzeitig verlassen wollte. Santos wünschte sich vielmehr, der Wirbel um den 37-Jährigen möge enden. Offen ließ der Trainer, welche Elf er am Samstag auf den Platz schicken wird und welche Rolle Ronaldo dann einnimmt.

Cristiano Ronaldo ist nach seinem Elfmeter-Treffer zum 1:0 im Vorrundenspiel gegen Ghana der erste Fußball-Profi, der bei fünf verschiedenen Weltmeisterschaften getroffen hat. Der 37 Jahre alte Portugiese ist damit alleiniger Rekordhalter in dieser Kategorie.

Was Santos nicht sagte: Unabhängig davon, ob Cristiano Ronaldo bei dieser WM nochmal zuschlägt oder nicht. Der Portugiese wird als einer der besten Fußballer in die Geschichte eingehen. Und wer weiß: Vielleicht wird der Portugiese tatsächlich Weltmeister. Wenn auch nur als Bankdrücker.

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