Gerichtsdolmetscher Schweiz


Für Justiz und Polizei spielen Dolmetscher eine wichtige Rolle. Doch nicht jeder Dolmetscher erfüllt die Anforderungen. Im Kanton Aargau wurden innerhalb von zwölf Monaten gleich zwei Dolmetscher wegen mangelhafter Übersetzungen ausgetauscht. Kritisch wird es erst recht dann, wenn Fehler nicht aufgedeckt werden. Das kann fatale Folgen haben, für die Opfer dieser Fehler sowie für den Dolmetscher. Wie sich dieser stete Druck anfühlt, weiß Ahmet Bekler (Name geändert). Der gebürtige Schweizer ist Finanzplaner mit eidgenössischem Fachausweis von Hauptberuf und seit 2004 akkreditierter Türkisch-Deutsch-Dolmetscher am Obergericht des Kantons Zürich und am türkischen Generalkonsulat. „Auf diesen Job bin ich durch einen Tipp eines damaligen Arbeitskollegen gekommen. Ich fragte ihn eines Tages, wohin er gehe, und er antwortete, er müsse zum Gericht, um zu übersetzen. Also fragte ich ihn, wie man Dolmetscher wird. Ich begann die Ausbildungen und absolvierte die Prüfungen. Ich konnte ja bereits hervorragend Türkisch, da dies meine Muttersprache ist und ich noch während meiner Schulzeit parallel zum Schweizer Unterricht einen Kurs in türkischer Sprache besuchte. Mein Vater wanderte Mitte der 1960er-Jahre in die Schweiz aus. In der Türkei hatte er beim Elektrokonzern AEG gearbeitet. Sein Bruder, der bei der Swissair angestellt war, überredete ihn, in die Schweiz zu kommen. Hier wurde ich geboren. Ich war also von klein auf umgeben von Deutsch und Türkisch, was mir eine ideale Basis für den Dolmetscherberuf gab“, berichtet der 48-Jährige.

„Was mich vor allem in diesen Beruf zog, war wohl meine Neugier. Es war ein Einstieg ins Justizwesen. Ich lernte viel über das Schweizer Recht. An wirtschaftsrechtlichen Übersetzungen lernte ich viel über Wirtschaft.“ An der Arbeit gefallen ihm die Vielseitigkeit der verschiedenen Fälle und die neuen Erfahrungen, die er mit jedem Auftrag macht. „Was ich nicht so mag, sind die langen Arbeitsphasen ohne Pause. Wir müssen häufiger vier Stunden ununterbrochen übersetzen. Konferenzdolmetscher dagegen wechseln sich alle 20 Minuten ab. Es gibt auch Fälle, die monoton sind, etwa vermeintliche Scheinehen, wo man zweimal 150 Fragen durchgehen muss, reine Routine.“

Großer Unterschied zum Übersetzen

Der große Unterschied zwischen Übersetzen und Dolmetschen ist, dass beim Übersetzen der Text schriftlich vorliegt und der Übersetzer ihn jederzeit im genauen Wortlaut abrufen kann. Der Dolmetscher hingegen muss in einer hohen Geschwindigkeit korrekte Sätze dolmetschen. Die Anforderungen für Dolmetscher in der Schweiz sind je nach Kanton anders. In den Kantonen Schwyz und Zürich sind die Regelungen besonders hart. Grundsätzlich sollte ein Dolmetscher zwei Sprachen vollständig beherrschen und sich gut mit der jeweiligen Kultur auskennen. Es gibt oft Wörter, die kein deutsches Pendant haben. Häufig lassen sich auch Sätze oder Sprichwörter nicht eins zu eins übersetzen. Kennt der Dolmetscher die Kultur, kann er als Anmerkung den Sinn einer Aussage mitteilen. Er kann so einen Sachverhalt schneller verstehen und genauer dolmetschen. Weiter sollte er juristische und wirtschaftliche Fachbegriffe in beiden Sprachen kennen und diese definieren können und mit der Funktionsweise der Schweizer Behörden vertraut sein. Er muss neu­tral sein und korrekt übersetzen.

Dolmetscher sind nach Artikel 320 des Schweizer Strafgesetzbuches an eine Schweigepflicht gebunden. „Hilfreich ist es, wenn man über ein großes Allgemeinwissen verfügt. Ein gutes Kurzzeitgedächtnis ist wichtig, da man, erst nachdem die Person fertig gesprochen hat, dolmetschen kann. Es ist ein anspruchsvoller Job, deshalb sollte man belastbar sein.“ Laut Artikel 307 des Strafgesetzbuches können Übersetzungsfehler, die eine Konsequenz auf die Rechtsprechung haben, mit bis zu fünf Jahren bestraft werden. Dies muss wohl einen großen Druck erzeugen. Ahmet Bekler sagt: „Ja, manchmal. Ich denke, man gewöhnt sich mit den Jahren daran. Bei Routinefällen ist es nicht schlimm, da ist vieles gleich und simpel. Aber es gibt auch Fälle, die unter die Haut gehen, bei denen größte Aufmerksamkeit erforderlich ist. Ganz schlimm sind häusliche Gewalt oder Mord. Letzteres kommt aber zum Glück sehr selten vor. Da ist die Stimmung im Gerichtssaal dann meistens auch gedrückt.“ Ein besonders bedrückender Fall war folgender: „Der Vater einer Familie wurde arbeitslos und schlug aus Frust Frau und Kinder. Seine Frau wollte sich von ihm trennen, da eskalierte die Situation. Er bedrohte sie und drohte, seine Kinder umzubringen. Er hatte tatsächlich ein Messer in der Hand, als die Polizei – zum Glück rechtzeitig – die Wohnung stürmte und ihn entwaffnete. Die Fotos der spitalreif geschlagenen Ehefrau und die Zeugenaussagen ließen mir einen Schauer über den Rücken laufen. Dennoch darf man sich nicht aus dem Konzept bringen lassen und muss sich voll konzentrieren.“

Zivilrecht in lockerer Atmosphäre

Bereits ein Konzentrationsverlust könnte zu einer Fehlerkette führen. Wie lebt es sich 15 Jahre lang fast täglich mit diesem Gefühl? „Der Ausgleich ist sehr wichtig. Sport hält nicht nur fit, sondern baut Stress ab.“ Außerdem könne man nachfragen, falls etwas nicht klar sei. Dies im Kopf zu behalten hilft. Ich habe auch noch meinen zweiten Beruf, daher bin ich nicht vollständig vom Dolmetschen abhängig. Das schafft so einen gewissen Abstand und eine Abwechslung.“ Besonders angenehm seien zivilrechtliche Übersetzungen, da sie in einer lockeren Atmosphäre stattfinden. „Ich finde es auch sehr interessant, was ich alles lerne. Wirtschaft, Recht, Menschen, Sachwissen, von allem ist etwas dabei. Jeder hat eine eigene Geschichte. Leider gibt es aber auch harte Fälle. Vor allem für Anfänger können zum Beispiel Gewaltdelikte eine große psychische Belastung bedeuten. Ich habe jedoch gelernt, dass man nichts persönlich nehmen darf und versuchen sollte, nicht emotional zu werden. Ich sage mir immer: Du kannst es ja nicht ändern. Mach einfach deine Arbeit.“

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