Gewalt gegen Kinder: „Keine Indizien, dass die Zahlen sinken“

Familie ist der Raum, der Kindern Schutz, Sicherheit und Geborgenheit bieten sollte. Für zu viele ist es aber ein Ort der Gewalterfahrung. Experten zeichnen ein drastisches Bild.

Für manche Kinder und Jugendliche in Deutschland ist es trauriger Alltag: Sie werden von ihren eigenen Eltern geschlagen oder seelisch gequält. „Das Ideal, dass Kinder ohne Gewalt aufwachsen sollen, ist in der Bevölkerung angekommen – die tatsächliche Realität in den Familien sieht aber anders aus“, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin beim Deutschen Kinderschutzbund, Cordula Lasner-Tietze, bei einer Fachtagung über häusliche Gewalt in Mainz.

„Es ist erschreckend, dass wir keinerlei Indizien haben, dass die Zahl der unter Gewalterfahrungen leidenden Kinder im Sinken ist.“

„Nirgendwo viel Gewalt wie im häuslichen Raum“

Genaue Statistiken gibt es nicht. Nach den bereits 2008 abgeschlossenen Studien des Kriminologen Kai Bussmann sind bundesweit 2,5 Millionen Kinder mindestens einmal in ihrem Leben von Misshandlungen betroffen gewesen. Inzwischen müsste man neue Studien machen, sagt Bussmann. Das Ausmaß sei sicherlich nach wie vor viel zu hoch. „Nirgendwo gibt es so viel Gewalt wie im häuslichen Raum.“ Wenn das Verhältnis zwischen Partnern von Gewalt bestimmt sei, würden auch Kinder geschlagen.

Gewalt im frühen Kindesalter am größten

„Wir müssen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen“, sagt Lasner-Tietze. Am größten sei das Ausmaß von Gewalt im frühen Kindesalter – in dieser Phase könnten sich Kinder später oft nicht mehr an diese Erfahrung erinnern. In früher Kindheit erlittenes Leid werde dann oft erst viel später in psychotherapeutischen Behandlungen bewusst.

Für Rheinland-Pfalz weist die Kriminalstatistik für das Jahr 2014 insgesamt 9571 Fälle von Gewalt „in engen sozialen Beziehungen“ aus. „Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein“, erklären die Veranstalter der Tagung. Bei Gewalt an Frauen durch ihre Partner seien „die Kinder immer mitbetroffen und oft schwer traumatisiert“.

„Gesellschaftliches Umfeld, das Gewalt an Kindern einfach ignoriert“

In der kommenden Woche veröffentlicht der Autor Markus Breitscheidel unter dem Titel „Nicht auf den Kopf!“ ein Buch, in dem er persönliche Gewalterfahrungen während seiner Kindheit in der Nähe von Cochem an der Mosel darstellt. „Es gibt ein gesellschaftliches Umfeld, das Gewalt an Kindern einfach ignoriert“, sagt Breitscheidel. Bei seinen Recherchen sei ihm klar geworden, dass sehr viele Kinder betroffen seien, dass aber kaum jemand ein Interesse habe, das Ausmaß öffentlich zu machen: „Das ist ein ungemeines Tabuthema.“ Kinder würden noch zu sehr als Besitz ihrer Eltern angesehen, ihre Situation als Privatangelegenheit betrachtet.

Zu wenig Hilfsangebote für Kinder

„Unabhängig vom sozialen Umfeld wird geprügelt, verletzt, beherrscht, kontrolliert, gedemütigt, eingeschüchtert und verängstigt, was das Zeug hält“, schreibt Breitscheidel in seinem Buch. Er zeigt auf, wie das Vertrauen in die Erwachsenenwelt überhaupt verloren gehe. Er kritisiert, dass es viel zu wenig gezielte Hilfsangebote für Kinder in solch verzweifelten Situationen gebe.

Die Beratungsstellen des Deutschen Kinderschutzbunds müssten bei gleich bleibender Ausstattung seit einigen Jahren immer mehr Familien beraten, sagt Lasner-Tietze. Die Folge sei eine Verkürzung der Beratungszeit. Insbesondere die Hilfen für Kinder im Alter bis drei Jahren müsse eine Pflichtleistung der Kinder- und Jugendhilfe werden. „Wir brauchen gut ausgestattete, flächendeckende und niederschwellige Angebote zur Beratung von Kindern, Jugendlichen und Familien.“

Recht auf gewaltfreie Erziehung

Über Jahrhunderte hinweg wurde Eltern ein Recht auf „körperliche Züchtigung“ zugesprochen. Bis 1957 hieß es im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB): „Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden.“ Diese Bestimmung in Paragraf 1631 wurde mit dem Gesetz zur Gleichberechtigung von Mann und Frau zwar gestrichen, wurde danach aber noch weiter als elterliches Gewohnheitsrecht angenommen.

Erst im Jahr 2000 wurde Kindern im Paragraf 1631 ein Schutz vor Gewalt in der Familie garantiert: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung.“ Das nationale Recht folgte damit den Vorgaben der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen von 1989. Körperliche Bestrafungen und seelische Verletzungen sind unzulässig, die längere Verweigerung von Blickkontakt gehört ebenso dazu wie eine Ohrfeige.

Diese Erziehungsmittel sind erlaubt

Als zulässige Erziehungsmittel gelten nach Ansicht von Juristen Ermahnungen und Verweise, das Kürzen von Taschengeld, ein Fernsehverbot oder das zeitweilige Verbot von Lieblingsspielen, Ausgehverbote sowie das festere Packen am Arm, um Gefahren zu vermeiden.

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