Keine Jobs für junge Chinesen: Xi will Chinas Jugend auf dem Land schuften sehen

Elf Millionen junge Chinesen fluten aktuell den Arbeitsmarkt. Ihr Studium ist vorbei, der Abschluss in der Tasche – ein Job aber für viele trotzdem nicht in Sicht: Jeder fünfte Jugendliche in China ist arbeitslos, liegt „flach“, wie es in der Volksrepublik heißt.

Eine junge Frau in einer hellblauen Absolventen-Robe steckt ihre Uni-Abschlussarbeit in den Mülleimer. Eine andere trägt den schwarzen Akademikerhut auf dem Kopf, hat sich als Papierhandtuchspender verkleidet, Papierhandtücher hängen ihr aus dem Mund. Andere Absolventen liegen wie fallengelassen, mit dem Gesicht nach unten quer auf Treppenstufen, Parkbänken oder Straßen.

Die Fotos von frisch gebackenen chinesischen Hochschulabsolventen in sozialen Medien dieses Jahr sind kreativ, aber auch traurig wie nie.

Die jungen Leute posieren nicht mit Blumen, werfen keine Hüte in die Luft – sondern sie liegen „flach“. „Tangping“, übersetzt: Flachliegen, nennt sich dieser Trend. „Es ist Ausdruck von zunehmenden Unsicherheiten und Ängsten, was die Zukunft angeht, eben vor allem für junge Menschen“, sagt Katja Drinhausen, Leiterin des Bereichs chinesische Politik und Gesellschaft am Mercator Institute for China Studies im ntv-Podcast „Wieder was gelernt“. Gerade in diesem Jahr sei es für Universitätsabsolventen besonders schwierig: „Es gibt über 11 Millionen neue Uniabgänger, die jetzt auf den Arbeitsmarkt kommen. Und das zu einer Zeit, wo ohnehin die Arbeitslosigkeit unter jungen Arbeitnehmern mit über 20 Prozent schon sehr, sehr hoch ist.“

Keine Garantie für Job nach Abschluss

Mit ihren gestellten Bildern zeigen die jungen Hochschulabsolventen, wie sie ihre Zukunft einschätzen: Jeder fünfte der 16- bis 24-Jährigen war im Juni ohne Arbeit. Die chinesische Jugendarbeitslosigkeit hat mit 21,3 Prozent einen neuen Rekord erreicht. Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Außerdem wird die Quote nur in den Städten erfasst.

Dabei werden junge Chinesinnen und Chinesen immer gebildeter und studieren. Besonders zu Corona-Zeiten, in denen die Wirtschaft sowieso lahmgelegt war. Zwischen 2021 und 2022 sind die Studierendenzahlen an Hochschulen sechs Prozent höher gewesen als üblich.

Eigentlich nachvollziehbar: Denn traditionell sind Position und Gehalt in China gut, wenn man ein Studium in der Tasche hat. Deshalb investiert die Familie viel Geld in die teure Ausbildung ihrer Kinder. Früher sei ein Job für diejenigen mit einem Uniabschluss und einem Auslandsstudium garantiert gewesen, berichtet Drinhausen. „Diese Erwartungshaltung wird in der neuen Generation gebrochen, und das hat es so bisher noch nicht gegeben. Das ist natürlich auch ein Grund, warum der chinesische Staat da mit sehr viel Besorgnis darauf blickt.“ Gerade die städtischen Eliten hätten bisher darauf setzen können, dass ihr Leben in der Zukunft besser wird.

Tech-Feldzug vernichtet zehntausende Jobs

Die gute Ausbildung passt aber nicht zum Jobmarkt. Statt im Spitzenjob finden sich die Hochschulabgänger nach dem Studium plötzlich als Lebensmittellieferant, bei Müllentsorgern oder an der Supermarktkasse wieder. Das liegt auch daran, dass die Hochschulausbildung nicht das liefert, was Unternehmen eigentlich brauchen, sagt Drinhausen im „Wieder was gelernt“-Podcast. „Man braucht einerseits vor allem im Ingenieurs- und Technologiebereich sehr hoch ausgebildete Fachkräfte, aber auch in China bereitet das klassische Universitätsstudium nicht immer perfekt auf den Arbeitsmarkt vor.“

Dazu kommt, dass der chinesische Jobmarkt sowieso schrumpft. Durch die Corona-Jahre und den harten Lockdown haben Millionen Unternehmen dichtgemacht.

Gravierend war aber auch der Feldzug der chinesischen Regierung gegen Technologieunternehmen. Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping fühlte sich bedroht von der Marktmacht der Tech-Giganten. In den vergangenen Jahren brummten die Behörden Alibaba, Wechat und Co. Millionen-Bußgelder auf oder stoppten wertvolle internationale Börsengänge. Sie sollten auf Linie der Kommunistischen Partei gebracht werden und dem Staat, nicht den milliardenschweren Inhabern zuarbeiten. Doch dieser Eingriff hat Zehntausende Jobs vernichtet.

„Esst Bitterkeit!“

Junge Chinesen schauen sich nach Alternativen zum Geldverdienen um. Einige verkaufen ihr Wissen auf der Straße: Ein junger Doktorand bietet „Beratungsdienste für Politikwissenschaft“ an. Eine Masterabsolventin hat in Shenzhen einen Stand mit Kalligrafien und Handschriften aufgebaut.

„Wieder was gelernt“-Podcast

„Wieder was gelernt“ ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

Alle Folgen finden Sie in der ntv App, bei RTL+ Musik, Apple Podcasts und Spotify. „Wieder was gelernt“ ist auch bei Amazon Music und Google Podcasts verfügbar. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

Immer mehr Hochschulabgänger entscheiden sich auch für einen Job im öffentlichen Dienst. „Weil sie denken, dass sie im sicheren Hafen des Staates bessere Zukunftsaussichten haben. Da sind zwar die Gehälter niedrig, aber wenigstens ist der Job garantiert“, weiß Drinhausen. Die jungen Menschen schätzen das stabile Einkommen bei den öffentlich finanzierten Institutionen und die finanzielle Absicherung im Alter.

Staatschef Xi hat kaum Mitgefühl mit den gut ausgebildeten jungen Leuten ohne Job-Perspektive. „Esst Bitterkeit!“, ruft er ihnen Anfang Mai zu – und meint damit, dass sie ihre Ansprüche herunterschrauben und hart arbeiten sollen, so wie er selbst als Fünfzehnjähriger. Während der Kulturrevolution wurde er wie viele andere Jugendliche zur körperlichen Arbeit aufs Land verschickt.

Dieses alte Konzept wird nun wieder neu belebt. Die in den Augen von Xi vielleicht auch verzogene Jugend soll helfen, die strukturschwachen Regionen auf dem Land aufzubauen. Drinhausen glaubt aber kaum, dass diese Idee bei den jungen Leuten fruchtet und sie auf dem Land tatsächlich Fuß fassen können.

Mit Startups gegen Arbeitslosigkeit

Auch das Vorhaben der chinesischen Regierung gegen die rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit, Startups zu fördern, hält Drinhausen kurzfristig für wenig hilfreich. Hochschulabsolventen und Arbeitsmigranten sollen Gründerkredite für eigene Startups bekommen. Als geeigneteres Mittel sieht die Expertin zusätzliche Qualifikationen für die frisch gebackenen potenziellen Arbeitskräfte an.

China steht vor einem ganzen Haufen von Problemen: Der Staat weiß nicht nur nicht, was er mit vielen Millionen jungen Menschen machen soll, die einen Job brauchen. Die Wirtschaft schwächelt insgesamt kräftig. Der Immobilienmarkt steckt in einer schweren Krise, die Schulden steigen.

Dass die Bevölkerung schrumpft und immer älter wird, macht es nicht besser: In den nächsten Jahren werden Arbeits- und Fachkräfte immer rarer, sagt Katja Drinhausen voraus. Wenn sich das Bildungssystem dem nicht anpasst, hat China verloren.

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