Neuer Rekordwert: China bekommt Jugendarbeitslosigkeit nicht in den Griff

Chinas Jugend ist gemessen an den Hochschulabschlüssen so gut ausgebildet wie nie zuvor. Dennoch sind in den Städten besonders viele Absolventen arbeitslos. Die oft teure Ausbildung erweist sich vielfach als nutzlos.

Offiziell ist man zufrieden in Peking: Chinas Wirtschaft zeige „eine gute Dynamik der Erholung“, heißt es in der aktuellen Mitteilung des Statistikamts zum Wirtschaftswachstum im Mai. Zwar hatten manche Ökonomen noch etwas mehr erwartet, aber die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt befindet sich auf gutem Weg, das offizielle Ziel von 5,5 Prozent Wachstum in diesem Jahr zu erreichen. Vor dem Hintergrund dieser Wachstumszahlen erstaunt eine andere aktuelle Wirtschaftskennziffer: Die Jugendarbeitslosigkeit hat einen neuen Rekordwert von 21,3 Prozent erreicht. Warum schafft China es trotz wachsender Wirtschaft nicht, seine jungen Menschen in Arbeit zu bringen?

An der Konjunktur und der Nachfrage nach Arbeitskräften im Allgemeinen liegt es nicht. Die Gesamtarbeitslosigkeit liegt bei nur knapp über fünf Prozent. Ein Teil der Antwort liegt in der Statistik selbst. Die sogenannte Jugendarbeitslosigkeit erfasst in China nur die 16- bis 24-jährigen Bewohner von Städten. Eine entsprechende Zahl zur Landbevölkerung wird nicht erhoben. Sofern sie nicht mehr die Schule oder Hochschule besuchen, sondern Teil des Arbeitsmarktes sind, sind die Stadtbewohner in diesem Alter meist Hochschulabsolventen. Deren Anteil ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Chinas Jugend ist gemessen an den Abschlüssen so gebildet wie nie zuvor.

Das ist einerseits ein bildungspolitischer Erfolg, in der gegenwärtigen Situation aber auch ein Problem: Die Abschlüsse vieler Absolventen passen nicht zum Bedarf des Arbeitsmarktes. Während die Industrie Fabrikarbeiter oder auch Ingenieure sucht, haben die Hochschulen und Universitäten immer mehr Programmierer, Betriebswirte und Pädagogen ausgebildet. Laut einer Analyse der Investmentbank Goldman Sachs ist beispielsweise die Zahl der Absolventen aus den Bereichen Sport und Pädagogik von 2018 bis 2021 um über 20 Prozent gestiegen. Der Bedarf an solchen Qualifikationen habe in der gleichen Zeit dagegen nachgelassen. Auch Branchen, die vor wenigen Jahren noch sichere Zukunftsjobs zu versprechen schienen, stellen inzwischen weniger ein. Dazu gehört laut Goldman Sachs auch der IT-Bereich. Mit verschärften Regularien und teils aufsehenerregenden Maßnahmen gegen Branchenriesen wie Alibaba hatten die Behörden dem Boom in diesem Bereich ein Ende gesetzt.

So viele Hochschulabsolventen wie nie

Diesem sinkenden Bedarf an akademischen Fachkräften steht eine weiter wachsende Zahl neuer Absolventen gegenüber. In den kommenden Wochen, wenn das Hochschuljahr endet, werden mehr als 11,5 Millionen Absolventen auf den Arbeitsmarkt strömen. Auch das ist eine Rekordzahl. Erwartet wird daher, dass die Jugendarbeitslosigkeit zunächst weiter ansteigt. Die chinesische Regierung hofft, dass sie im August ihren Höchstwert erreicht, bevor sie zu sinken beginnt.

Trotz der allgemein guten Lage auf dem Arbeitsmarkt sind die Jobprobleme der städtischen Jugend für die Regierung problematisch. Zum einen spielt die urbane Mittelschicht eine zentrale Rolle für die chinesische Wirtschaft insgesamt. Die gut ausgebildeten Stadtbewohner sorgen mit ihrem Lebensstil, ihrer Nachfrage nach Wohnungen, Autos, anderen Konsumgütern und Dienstleistungen für einen Großteil des chinesischen Konsums. Die schlechten Jobaussichten junger Leute sind – neben der Immobilienkrise – einer der Gründe, warum sich der Konsum nach Ende der Corona-Maßnahmen in China bislang nicht entwickelt wie erhofft.

Zum anderen sind junge Akademiker aber auch medial und politisch besonders präsent. Stärker als andere Schichten und Generationen im Land sind sie in sozialen Netzwerken aktiv. Dort können sie zwar wegen der Zensur das Regime nicht grundsätzlich kritisieren, aber die Enttäuschung über ihre Situation ausdrücken.

„Erst eine Arbeit, dann eine Karriere“

Diese Enttäuschung hat Chinas Führung bis hin zu Präsident Xi Jinping lange nicht ernst genommen, sondern als Luxusproblem einer im Wohlstand verweichlichten Generation betrachtet. In Kampagnen forderten die Behörden Absolventen etwa auf, sich „zuerst eine Arbeit, dann eine Karriere“ zu suchen. Das Problem liegt allerdings keineswegs nur darin, dass sich die jungen Menschen zu fein wären, sich an ein Fließband zu stellen oder eine Schaufel in die Hand zu nehmen. In der Hoffnung auf gut bezahlte Akademiker-Jobs haben viele Familien für die Ausbildung ihres meist einzigen Kindes hohe Summen investiert. Die Hemmschwelle, unqualifizierte Arbeitsstellen mit schlechter Bezahlung anzutreten, sind auch deshalb hoch, weil sie einem Eingeständnis gleichkäme, dass diese Investition gescheitert ist.

Zuletzt hat die Regierung Schritte unternommen, um die städtische Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. So signalisierte sie der IT-Branche Entgegenkommen und lockerte manche der in den vergangenen Jahren verschärften Regeln in der Hoffnung, das Wachstum des Sektors wieder anzukurbeln. Staatliche Unternehmen sollen in den kommenden Monaten Millionen zusätzliche Praktikumsplätze schaffen. Auch das Militär soll einen Beitrag leisten, indem es Hochschulabsolventen bei der Rekrutierung bevorzugt. Bis sich die Situation bessert, dürften aber Jahre vergehen. „Wir schätzen, dass das Problem der Jugendarbeitslosigkeit noch zehn Jahre lang anhalten und sich kurzfristig verschlimmern könnte“, zitiert die „Financial Times“ aus einem Bericht des Thinktanks China Macroeconomy Forum.

Sie können mehr von den Nachrichten auf lesen quelle

Weer

Weather Icon
background