Lars Eidinger als Bertolt Brecht: „Man darf nicht auf seinen Hype reinfallen“


Er gilt vielen als bester Schauspieler des Landes – wohl auch, weil er es einfach selbst behauptet hat. Shakespeares Hamlet setzte er die Krone verkehrt herum auf, dann war da noch diese Geschichte mit der Wurst. Doch Lars Eidinger ist schon lange nicht mehr nur der Star des deutschen Theaters, sondern auch ein besonders gefragter Filmdarsteller. Gerade ist er als Bertolt Brecht in „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ zu sehen. n-tv.de erzählt er, wieso er Skrupel hatte, die Rolle überhaupt anzunehmen, was ihn an dem berühmten Theatermacher beeindruckt und wie er selbst mit seinem Image umgeht.

n-tv.de: Brecht ist Pflichtlektüre. Hatten Sie Ihre erste Begegnung mit seinem Werk auch in der Schule?

Lars Eidinger: Ja, ich habe damals tatsächlich Arturo Ui in „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ gespielt.

Genau. Wir hatten in der Schule Darstellendes Spiel. Ich habe am Ende auch eine Zensur bekommen, die ins Abitur eingeflossen ist.

Und wie wurden Sie benotet?

Während des Schauspielstudiums hat Brecht sicher auch eine Rolle gespielt?

Am Ende des Studiums hat Angelica Domröse bei uns eine Studioinszenierung gemacht. Kennen Sie die? Sie war in den 70er- und 80er-Jahren ein Star in der DDR. Es gibt diesen Film mit ihr und Winfried Glatzeder: „Die Legende von Paul und Paula“. Der ist echt super. Jedenfalls hat Angelica Domröse bei uns „Happy End“ von Dorothy Lane inszeniert. Es läuft unter „Dorothy Lane“, ist aber eigentlich ein Brecht-Stück. (Mittlerweile gilt Elisabeth Hauptmann als Autorin, Brecht hatte das Projekt an sie übergeben. Er selbst steuerte die Texte zu Kurt Weills Liedern bei; Anm. d. Red.) Da habe ich mitgespielt zusammen mit Nina Hoss, Devid Striesow und Mark Waschke.

Sie hatten also schon Brecht-Stücke gespielt. Mit welchen Gefühlen sind Sie die Rolle des berühmten Theatermachers selbst angegangen?

Das war nicht so, dass ich sofort gedacht habe: Den muss ich spielen! Ich hatte erst einmal Skrupel. Brecht ist ein echter Held von mir. Ich orientiere mich an ihm. Das wollte ich mir nicht kaputt machen, indem ich mir anmaße, Brecht zu spielen und es gelingt mir dann nicht. Was mir dann geholfen hat, war Brechts Lehre selbst: Es ging mir weniger darum, ihn zu imitieren, sondern darum, ihn zu interpretieren.

Ich habe Kollegen, die können super andere Leute nachmachen. Ich kann das nicht. Brecht hat ja aber gerade gesagt: „Zeigt, dass ihr zeigt.“ Er wollte das Prozesshafte der Schauspielerei ausstellen. Es ging mir also nicht um die perfekte Illusion, ich musste nicht zu Brecht werden. Viel interessanter ist es doch vielleicht umgekehrt, einem Schauspieler dabei zuzusehen, wie er Brecht spielt.

Jetzt spricht Ihr Brecht nur in Zitaten.

Eidingers Brecht spricht in Zitaten.

Teilweise sind es Zitate aus mitnotierten Gesprächssituationen wie Interviews. Das war dann nicht so schwer. Aber teilweise entstammen die Zitate auch Brechts schriftlich verfasster Lehre. Das sind komplexe Gedanken. Da ist es natürlich schwierig, die als Schauspieler so zu verkaufen, als würden sie sich in dem Moment entspinnen. Beim Film sagt man, man hört das Drehbuch rascheln, wenn man das Gefühl hat, da sagt einer einfach nur Text auf. Aber bei diesem speziellen Film ist das vielleicht gar nicht so schlimm. Brecht wollte den Zuschauer gerade nicht einlullen. Er sollte stattdessen analytisch auf das Gezeigte schauen. Deswegen hat er gesagt: „Glotzt nicht so romantisch!“. Ich musste die Illusion also gar nicht bedienen. Selbst wenn ich den Text einfach aufgesagt hätte: Der Inhalt wäre auch so transportiert worden.

„Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, wie wir durchsetzen“ oder „Die Widersprüche sind die Hoffnung“. Das sind Zitate aus dem Film, die in Erinnerung bleiben, auch weil sie sich so aktuell anfühlen. Aber sind sie auch wahr?

„Die Widersprüche sind die Hoffnung“ ist auf jeden Fall mein absolutes Lieblingszitat von Brecht. Es ist wie der Schlüssel zu allem – zu Brechts Persönlichkeit genauso wie zum Mensch sein im Allgemeinen. Das menschliche Sein folgt keiner Logik und es ist auch nicht stimmig, sondern fehlerhaft. Brecht war bekanntermaßen Antikapitalist und Kommunist. Und er hat Werbung für eine große Autofirma gemacht. Das auszuhalten und zu sagen: Genau das macht den Menschen aus! Das imponiert mir. Der Widerspruch ist nicht das Ende eines Gedankens, sondern der Anfang.

Was beeindruckt Sie an Brecht am meisten?

Er hatte den Anspruch, freundlich zu sein. Wenn ich jetzt zu Ihnen sage: „Sie sind nett“, dann denken Sie sich: „Na toll.“ Man will nicht nett sein. Nett ist mittlerweile fast negativ konnotiert. Man will lieber aufregend sein, provokant, rebellisch oder so was. Aber Brecht hat die Menschen geliebt. Er war kein Zyniker! Die Welt heute ist extrem zynisch und menschenverachtend geworden.

Freundlich sein klingt gut. Gar nicht so leicht, wenn die Zustände zuweilen so düster scheinen, oder?

Es ist schlimm, dass sich die Geschichte immer wiederholt. Die rechtsextremen Tendenzen sind erschreckend. Da denkt man schon manchmal, der Mensch lerne nicht dazu. Als wäre man verdammt dazu, die gleichen Fehler immer wieder zu machen. Ich laufe natürlich total Gefahr, zum Zyniker zu werden. Ich verliere teilweise wirklich den Glauben an die Menschheit. Ich empfinde einfach nur Wut und Verzweiflung. Aber so war Brecht eben nicht!

Halten Sie Brecht für unterschätzt?

Mit Brecht ist es ein bisschen wie mit Galilei. Der hat gesagt: Die Erde ist nicht das Zentrum des Universums, sie kreist um die Sonne. Für die Aussage wurde er bestraft und gefoltert. So war es bei Brecht auch: Der hat es eigentlich schon gewusst und wir haben es überhört. Deswegen lohnt es, sich heute mit seinem Werk auseinanderzusetzen. Bei Brechts Kunst geht es um Freiheit. Die haben die Nationalsozialisten durch ihre Propaganda und ihre Vorschriften, wie Kunst dargeboten werden muss, zerstört. Die wenigsten wissen, welchen Einfluss die Lehren des Propagandaministeriums noch heute haben. Goebbels diktiert viel mehr, wie wir Filme machen, als Brecht.

Zu Beginn Ihrer Kino-Karriere haben Sie immer sehr selbstbewusst von Ihrem Talent als Schauspieler gesprochen. Jetzt sind Sie wohl so populär wie nie zuvor. Bestätigt Sie das in Ihrer Selbstsicherheit?

Weil ich gesagt habe: „Ich bin der größte Schauspieler der Welt!“? Ich habe das damals ja nur gemacht, um zu thematisieren, dass man als Schauspieler immer zweifelt – oder als Mensch. Das hört auch nicht auf. Es wäre vermutlich schrecklich, wenn die Zweifel auf einmal weg wären. Im Grunde sind sie es ja, die einen antreiben. Ich habe natürlich nie gedacht, dass ich der größte Schauspieler der Welt bin. Aber ich habe gedacht, ich könne es ja einfach mal behaupten. Wenn einer sagt, er könne fünf Meter hoch springen, muss er das unter Beweis stellen. Bei meiner Arbeit ist es schwierig, Kriterien der Messbarkeit zu finden.

Was ist mit positiven Kritiken? Fans?

Ich fühle mich in gewisser Weise geschmeichelt, befriedigt und auch bestätigt durch das Feedback. Aber es ist ja nicht so, dass mich alle toll finden. Es gibt auch viele Leute, die mich nicht mögen. Man muss lernen, mit Prominenz umzugehen. Je populärer man ist, desto schärfer wird auch das Bild, das die Leute von einem haben. Das existiert losgelöst von der eigenen Persönlichkeit. Die Zeitungen schreiben: Der ist ein Egozentriker und eine Rampensau. Eben hat mich eine Journalistin einen Sexgott genannt … Man darf nicht den Fehler machen, auf seinen eigenen Hype reinzufallen und zu seinem eigenen Klischee zu verkommen. Ich kann mit meinem Image leben, aber es entspricht mir nicht.

Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, Sie würden sich oft mit Zwanzigjährigen identifizieren. Warum denn das?

Ich würde mal behaupten, dass das nicht nur mein Problem ist. Irgendwann beginnt man auszublenden, dass der Körper zerfällt. Man sieht sich weiter so wie früher einmal und bleibt irgendwie bei einem gewissen Alter stehen. Es gibt doch diesen Laden, Forever21. Als ich neulich daran vorbeigelaufen bin, habe ich gedacht: Eigentlich wollen alle für immer 21 bleiben. Da bin ich ja nicht alleine mit, oder?

Mit Lars Eidinger sprach Anna Meinecke

„Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ läuft derzeit im Kino.



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