Modedesignerin Anja Stenschke


Alte Knochen aus Afrika mit feinem Schmuck aus Indien. Es ist aufregend, wenn solche Brüche auf einer Tasche entstehen“, hallt eine begeisterte Stimme durchs Telefon. Anja Stenschke, studierte Modedesignerin, zeigt, dass die traditionellen Handarbeiten der verschiedenen Kulturen oft mehr Ähnlichkeit haben, als wir zunächst annehmen. „Manche indische und afrikanische Stoffmuster ähneln sich auf den ersten Blick. Indische sind jedoch feiner. Die Physio­gnomie der Menschen aus dieser Kultur ist aus meiner Erfahrung häufig schmaler, und sie können mit ihren filigranen Händen feineres Material einarbeiten“, erklärt die Berlinerin.

Die Hmong und die Karen in Asien

Früher arbeitete Stenschke jahrelang als verantwortliche Designerin bei großen Unternehmen, darunter das Fashionlabel Gerry Weber. Vor einigen Jahren veränderte sich ihr Leben mit der Insolvenz ihrer damaligen Firma jedoch komplett. „Mit 58 wollte ich mich nicht wieder neu bewerben, also habe ich meine eigenen Ideen verfolgt und darin meine Leidenschaft gefunden.“ Die Künstlerin gründete ihr Unternehmen „hand to hand“ und reist seitdem durch die Welt, immer auf der Suche nach Stoffen, Stickereien, Bändern, Tasseln, also „Puschelanhängern“, Knöpfen, Handgewebtem und Geflochtenem. Ihr Interesse führt sie von afrikanischen Stoffen bis zu alten Stickereien indigener Völker und ethnischer Minderheiten wie den Hmong und den Karen in Asien. Dabei ist ihre langjährige Erfahrung hilfreich, wenn es darum geht, Handarbeiten zu erkennen und auf den Märkten und Basaren mit den Händlern auf Augenhöhe zu sein. Erfüllt von den Geschichten der gesammelten Fundstücke setzt sie sich in den eigenen vier Wänden an die Nähmaschine und fertigt Einzelstücke. Welche Materialien eingearbeitet werden, ist anfangs noch unklar. „Ich muss mich erst einmal jedem Ding nähern.“ Die kreative Bearbeitung ihrer Taschenobjekte vergleicht sie mit der eines Künstlers, der ein Bild malt: „Irgendwo ist der Start, und ich beginne einfach zu nähen, ändere oder füge etwas hinzu. Manchmal sieht es aus wie vorher und manchmal komplett anders. Ich kann das nicht planen.“ Durch das Vermischen von Elementen aus verschiedenen Kulturen erzeugt sie Störungen und Spannungen.

Sie fügt ihnen „kleine Geheimnisse“ zu

Mittlerweile verzichtet die Designerin auf eine Skizzenanfertigung und legt ihre Ideen ganz primitiv auf dem Boden zurecht. Beim Arrangieren gibt sie sich Vorgaben, die nie gebrochen werden. Für eine persönliche Note werden in Fleißarbeit ihre „kleinen Geheimnisse“ durch Perlen, Lederornamente oder Spitzendeckchen hinzugefügt. Zur Beschreibung der entstehenden Muster benutzt Stenschke selten gewordene Wörter, die man erst einmal überdenken oder nachschlagen muss. „Feinnervigkeit“ ist ein solches Wort, für Empfindsamkeit, oder „Silent Teaching“, für das Lehren ohne erklärende Worte. Von einer Produktionsmenge einer Bluse mit bis zu 40.000 Stück hat sie sich weit entfernt. Jede einzelne der maximal 50 Taschen im Jahr erhält eine Nummer, wobei die jeweiligen Geschichten auf Pergamentpapier festgehalten oder mündlich weitergereicht werden. „Ich wollte etwas machen, was eine Bedeutung hat und man sich zu eigen macht.“ Damit die Poesie hinter den Taschen nicht verloren geht, verzichtet Stenschke auf Zweithändler.

Geld hat jetzt eine andere Bedeutung

Hätte sie sich gewünscht, ihr eigenes Label früher gegründet zu haben? „Ich habe früher immer gesagt, ich höre mit 55 auf zu arbeiten, und mit 58 habe ich das noch immer getan. Es war irgendwo schön, Erfolg zu haben. Es war bequem. Man entwickelt irgendwann eine gewisse Routine und weiß, welche Farben und Formen gut laufen. Ohne meine Erfahrungen wüsste ich viele Dinge gar nicht, und jetzt kann ich locker sagen: Ich brauche das alles nicht. Ich hatte ein schnelles Auto, ich habe gut Geld verdient, ich bin viel gereist, und ich weiß, dass es letztendlich nicht alles im Leben ist.“ Heute ist Stenschke auf zahlreichen Messen und Kunstausstellungen in ganz Deutschland zu sehen und präsentiert dort stolz ihr Handwerk. Ihre bunten Kreationen fallen auf. Dabei lenkt nicht allein die Farbenfülle die Aufmerksamkeit auf sich. Außergewöhnliche Muster und liebevoller „Schnickschnack“ verleihen den „Talismanen“, wie die 63-Jährige ihre Taschen bezeichnet, das besondere Etwas und ziehen neugierige Beobachter an. Wie schon in der Gourmetküche mit dem Trend der Fusion seit den 90er-Jahren überträgt nun auch Anja Stenschke das sogenannte Cross-over in die Modewelt.

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