Bestseller „Shy“ von Max Porter: „Wie redest du überhaupt mit uns?“

Mit seinen schmalen Büchern, halb Novellen, halb Poetry, begeistert Max Porter nicht nur Autorenkollegen wie Lucas Rijneveld und Ian Rankin, sondern erobert auch die Bestsellerlisten. Sein viertes Buch „Shy“ über eine schwere Jugend in den 1990ern ist da keine Ausnahme.

(Auszug aus „Shy“, von Max Porter)

Shy liebt Musik und hasst die Schule. Er versteht seine Mutter nicht, den Stiefvater noch weniger. Aber am wenigsten versteht er, woher die ganze Wut in ihm kommt. Diese Wut hat dem 16-Jährigen nicht nur eine ganze Liste von Vergehen eingebracht – Sprayen, Koksen, Stehlen, Schlagen, einen Escort schrotten, einen Laden zerlegen, ein Haus verwüsten, eine Nase brechen, den Finger seines Stiefvaters durchstechen – sondern ist auch der Grund dafür, dass er in der Unterkunft für psychisch vulnerable Jugendliche mit besonderem Betreuungsbedarf gelandet ist.

In einer Nacht des Jahres 1995, einen unglaublich schweren Rucksack voller Steine auf den Schultern, macht er sich auf den Weg zu einem Teich. In seinem Kopf rauschen die Musik aus seinem Walkman und die Stimmen der Menschen, die ihm ein Leben lang zugeredet haben, durcheinander – eine Dauerschleife der Vorwürfe seiner Eltern, Szenen seines Scheiterns in der Schule, sein Versagen beim Sex mit Becky, die doch eigentlich so süß ist.

Wie redest du überhaupt mit uns / Du irrst dich gewaltig, wenn du glaubst, dass du so mit deiner Mum reden darfst / Warum tust du das, und dann ausgerechnet heute! / Du treibst es eindeutig zu weit / Das ist nicht normal / Reiß dich gefälligst zusammen / So geht das nicht / Wie du dich aufführst / Na wunderbar, verdirb du ruhig einen Familienausflug, bravo / Komm sofort zurück

(Auszug aus „Shy“, von Max Porter)

Ungewöhnlich und gut

Wenige Worte genügen dem britischen Autor Max Porter, um ganze Familienszenen vor dem inneren Auge erscheinen zu lassen. Der 1981 geborene Porter, der bereits mit seinen ersten drei Büchern („Grief is the thing with feathers“ (2015), „Lanny“ (2019), „The death of Francis Bacon (2021)) Aufsehen erregte, legt mit „Shy“ erneut ein Buch vor, das halb Novelle, halb Poetry ist.

Der schmale Band ist unbedingt was für Fans von Lyrik und ungewöhnlich aufgemachten Büchern. Sowohl in der englischen Originalausgabe, als auch in der deutschen Übersetzung von Uda Strätling und Matthias Göritz aus dem Kein & Aber-Verlag zeigen sich die Stimmen in und um Shy herum in verschiedenen Schriftarten und Seitenaufmachungen. Der ungewöhnliche Stil bremst jedoch nicht beim Lesen aus – ganz im Gegenteil.

Wer vielleicht selbst früher ständig aneckte, seine Kinder in der Pubertät nicht wiedererkennt oder Jugendliche im eigenen Umfeld durch schwierige Phasen begleitet hat, wird in dem schmalen Band viele Sätze finden, die die Wut, das Gefühl der Ohnmacht, aber auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft perfekt beschreiben. Die Verletzlichkeit und den noch staunenden Blick auf die Welt wiedererkennen.

Andere Teile des Buches, wie das lange Rätselraten um zwei schwimmende Gegenstände im irgendwann erreichten Teich (sind es tote Tiere, Geister, Gespenster?), machen vielleicht erst einmal wenig bis gar keinen Sinn. Aber so kann es halt in einem Gehirn zugehen, das sich noch im Umbau befindet. Schauspieler Cillian Murphy („Oppenheimer“, „Peaky Blinder“) empfahl „Shy“ in einem „Rolling Stones“-Interview: Er möge Bücher, die sein Herz brechen. Dieses Buch bricht einem zuverlässig das Herz an einem Nachmittag.

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