Perücken für ein neues Selbstbewusstsein

Perücken für ein neues Selbstbewusstsein

Anfangs schlugen meine Eltern die Hände über dem Kopf zusammen: ,Oh Gott, ein eigener Laden?‘ Ich wollte es aber unbedingt ausprobieren“, erinnert sich Tatjana Richartz. „Ohne meine Familie und meine Freunde wäre das gar nicht möglich gewesen. Wir haben alles zusammen hergerichtet – vom Streichen bis zur Einrichtung.“ Ihr Geschäft in der Kölner Innenstadt liegt ein wenig versteckt in einer Gasse. Doch viele Menschen finden den Weg in den Salon der Friseurin, Maskenbildnerin und Perückenmacherin. Das hat einen ganz besonderen Grund: „In erster Linie betreuen wir Menschen, die Probleme mit ihren Haaren haben.“ Viele ihrer Kunden leiden an Krebs oder Alopezie, einer seltenen Autoimmunerkrankung, die Haarausfall verursacht.

Ehrgeizig weitergebildet

Was ihren Salon, der seit Januar 2016 besteht, ebenfalls so besonders macht: „In Deutschland ist unser ganzheitliches Konzept einzigartig. Wir haben Maskenbildner, Friseurmeister und Perückenmacher bei uns. Jeder macht alles, aber meist das, was er am besten kann.“ Für die junge Frau mit den blauen Augen ist das Handwerk, das hinter ihrem Beruf steckt, „mehr als nur das Haareschneiden“. Bereits in ihrer Ausbildung zur Friseurin hat sie sich für die Wertschätzung ihrer Arbeit engagiert und sich ehrgeizig weitergebildet. Sie assistierte bei Fortbildungen und leitete Seminare. Nachdem sie die Ausbildung abgeschlossen hatte, machte sie ein Praktikum als Maskenbildnerin und arbeitete freiberuflich in dieser Branche. Erst dann ließ sie sich am Theater zur Maskenbildnerin ausbilden.

In ihrem Körper wohlfühlen

Als die Freundin ihrer Schwägerin an Krebs erkrankte, kam die Frage auf, ob Richartz ihr eine Perücke anfertigen könne. „Beim Theater haben wir das jeden Tag gemacht. Warum sollte man es nicht auch für die, die es brauchen, machen?“ So entstand die Idee für den eigenen Laden. Die Perücken werden individuell angepasst und sollen alle Wünsche der Kunden erfüllen. Mit jedem neuen Kunden kommen auch neue Bedürfnisse auf, so dass ständig neue Herausforderungen auf die Mitarbeiter des Salons warten. „Ich liebe es, meinen Kopf anzustrengen.“ Neben Kunst- und Echthaarperücken gibt es auch Bärte oder ähnliche Produkte, die oftmals von anderen Maskenbildnern ausgeliehen werden. Zum ganzheitlichen Konzept von Tatjana Richartz gehört, dass ihre Kunden rundum versorgt werden. Neben Frisuren wird sich um das Make-up und die Augenbrauen gekümmert. Die Kunden sollen sich in ihrem Körper wohl fühlen und selbstsicher aus dem Salon treten. „Wir haben Kunden jeden Alters. Viele sind über dreißig, aber teilweise sind sie durchaus recht jung.“ So auch ein zehnjähriges Mädchen, das an Alopezie leidet und vor kurzem eine Perücke bekommen sollte. „Auf die Frage hin, was sie für eine Frisur haben wollen würde, antwortete sie mir: ,Zöpfe!’“

180 Stunden für eine Perücke

Teilweise werden die Perücken handangefertigt. Das bedeutet, dass jedes Haar einzeln eingeknüpft werden muss. So etwas dauert in der Regel um die 150 bis 180 Stunden. Ihre Arbeitszeit und ihre Freizeit trennt Tatjana Richartz ganz bewusst. Gerne macht sie ihren Freunden Frisur und Haare, allerdings nicht außerhalb der Arbeitszeit. „Mein Freund hat mich schon oft gefragt, ob ich nicht einfach die Schere mit nach Hause nehmen könnte. Da habe ich ihm gesagt: Du kannst gerne in meinem Salon vorbeikommen“, erzählt sie lachend. In ihrer Freizeit geht Richartz essen, näht oder verbringt Zeit mit ihren Freunden. Die lebensfrohe Friseurin sagt: „Mir ist es wichtig, dass das Thema Krebs oder Perücke kein Tabuthema mehr ist.“ Deshalb ist der Salon auch ganz besonders gestaltet. Der offene Arbeitsbereich, der sich seitlich des Tresens befindet, soll die tägliche Arbeit an den Perücken transparent und nachvollziehbar machen. Insgesamt sind die Räumlichkeiten im Retrostyle eingerichtet. Dort, wo die Kunden ihre neue Frisur bekommen, ziert eine beigefarbene, längsgestreifte Tapete die Wände. Große, runde Spiegel hängen dort neben Fotos, die größtenteils aus Richartzs Zeit beim Theater entstanden sind. Einladende, sesselartige, grüne Friseurstühle versprühen einen ganz besonderen Charme. „Die Stühle sind mein ganzer Stolz“, sagt sie, während sie über einen Kratzer an einer Armlehne streicht. „Ich habe mich vehement dagegen gewehrt, sie neu beziehen zu lassen.“

Andere sollen aufgeklärt werden

Auch Kunden, die nicht von Krankheiten betroffen sind, sollen aufgeklärt und zum Nachdenken angeregt werden. Die Menschen sollen sich in dem Salon so wohl wie in ihrem Wohnzimmer fühlen und in Kontakt miteinander treten. „Vor kurzem fragte mich eine Kundin, der ich die Haare geschnitten habe: ,Hatte die Frau gerade eine Perücke an?‘ Als ich daraufhin mit ,Ja‘ antwortete, meinte sie erstaunt: ,Das hat man ja gar nicht gesehen!‘ Natürlich nicht! Perücken, die man sieht, sind keine guten Perücken“, findet Richartz. Besonders schön sei es, wenn genesene Kunden in ihren Salon kommen, sich die Perücke vom Kopf reißen und stolz ihre nachgewachsenen Haare zeigen. Mit strahlenden Augen erzählt sie: „Dann machen wir aus dem, was da ist, eine neue Frisur, und die Kunden können ohne Perücke aus der Tür gehen.“

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