Populismus auf dem Pausenhof

Der alte weiße Mann, aus Funk und Fernsehen bekanntes Symbol von Uneinsichtigkeit und Beharrlichkeit, kann wohl bald in den Vorruhestand gehen. Denn laut der am Dienstag in Berlin vorgestellten Shell-Jugendstudie sind auch junge Menschen – gleich welchen Geschlechts oder ihrer Herkunft – anfällig für plumpe Vorurteile, rassistische Ausgrenzung und Verschwörungstheorien.

Über zwei Drittel der jungen Befragten stimmen ganz oder teilweise der Aussage zu, in Deutschland dürfe man „nichts Schlechtes über Ausländer sagen“, ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden. Mehr als die Hälfte findet, die Regierung verschweige tendenziell „die Wahrheit“. Und fast genauso viele meinen, der Staat kümmere sich stärker um Flüchtlinge als um „hilfsbedürftige Deutsche“.

Rumms. Die erst vor Kurzem entdeckte Generation Greta scheint damit hinfällig. Und das alles, obwohl in den vergangenen Monaten Hunderttausende für mehr Klimaschutz, Seenotrettung oder Feminismus auf die Straße gingen. Ist die Jugend in Deutschland mehrheitlich doch ganz anders? Womöglich latent – oder gar offen – rechts?

Tatsächlich zeigt der Populismus-Befund der Studie vor allem, dass auch Jugendliche mitbekommen, wie um sie herum diskutiert wird. Die populistischen Antworten bilden eine gesellschaftliche Stimmungslage ab: Der rauer werdende Tonfall in Talkshows, sozialen Netzwerken und bei manchen Familienfesten bleibt jungen Menschen nicht verborgen, im Gegenteil. Dass viele diese Stimmung aufgreifen, ist erschreckend. Aber auch nicht so neu, wie es scheint.

Schon bei den vergangenen Shell-Jugendstudien zeigte sich zuverlässig, welche Ängste am Abendbrottisch und in der Schule weitergegeben wurden.

Die Konjunktur der Ängste

2002, kurz nach dem 11. September, waren „Terroranschläge“ die größte Sorge. Die folgenden acht Jahre blieb es die Angst um die „wirtschaftliche Lage und steigende Armut“ – passend zu Hartz-IV-Debatten und Krisen-Diskussionen. Bei der bislang letzten Studie 2015 war es dann wieder – dieses Mal kurz nach den Anschlägen von Paris – der Terrorismus, der jungen Menschen am meisten Angst machte.

Jetzt geht es also um Populismus auf dem Pausenhof. Doch auch wenn die Zahlen erschreckend sind, lassen sie sich kaum als Beleg für einen Millennial-Rechtsruck heranziehen: Noch immer schätzen sich 41 Prozent als links oder eher links ein, vier Prozentpunkte mehr als 2015. Nur 13 Prozent halten sich für rechts oder eher rechts. 77 Prozent sind mit der Demokratie eher oder sehr zufrieden. Die größte Angst ist 2019 übrigens nicht mehr Terror, sondern Umweltverschmutzung.

Das zeigt einerseits, dass längst nicht jeder Jugendliche, der sich für progressiv und aufgeklärt hält, frei von Vorurteilen ist. Es zeigt aber auch, dass vielen jungen Menschen nicht mehr klar zu sein scheint, was der Unterschied zwischen Widerspruch und Ausgrenzung ist. Gerade im Umgang mit jungen Menschen bleibt es deshalb wichtig, Kritik nicht nur reflexhaft, sondern auch inhaltlich zu begründen. Das gilt allerdings nicht nur bei rassistischen Aussagen, sondern beispielsweise auch beim Klimastreit.

Ein unfairer Gedanke

Es ist natürlich ein schöner Gedanke, dass ausgerechnet die Jugend mit ihrem Engagement die ganze Welt vor Rechtspopulismus und Klimawandel bewahren könnte. Aber er ist auch unfair, denn die nach dem Jahr 2000 Geborenen machen zusammen etwa 18 Prozent der Bevölkerung aus. Wer dazugehört, wird zwischen vielen alten Menschen und vielen neuen Ansprüchen erwachsen. Nischen gibt es kaum noch, das stellt auch die Shell-Studie fest. „Es wird für Jugendliche immer schwieriger, eine von Kommerzialisierung unabhängige Identität auszubilden“, heißt es an einer Stelle.

Dass die neuen Zahlen jetzt für so viel Aufsehen sorgen, dürfte nicht zuletzt aber auch daran liegen, dass die Populismus-Fragen in der Shell-Jugendstudie zum ersten Mal gestellt wurden. Ältere Generationen mussten sie deshalb nie beantworten. Vielleicht ist es für den gesamtgesellschaftlichen Frieden auch besser, nicht zu wissen, wie junge Menschen vor 15 Jahren über Langzeitarbeitslose und Frührentner geredet hätten.

Die Ergebnisse der neuen Studie spiegeln vor allem das, was junge Menschen heute alltäglich in unserer Gesellschaft erleben. Doch es wäre unehrlich so zu tun, als sei es die Schuld der Jugend, nicht klüger zu sein als Lehrer und Eltern. Dass auch erschreckend viele Deutsche über 25 regelmäßig ausgrenzen und abwerten, muss keine neue Studie beweisen, die Leipziger Mitte-Studien und ähnliche Erhebungen dokumentieren es seit Langem. Von dort stammen übrigens auch die meisten Populismus-Fragen der Shell-Jugendstudie.

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