Schule früher und heute – das hat sich verändert

In den letzen 40 Jahren mussten sich Lehrer und Schüler immer wieder an strukturelle Veränderungen oder pädagogische Reformen gewöhnen. Manches hat sich bewährt, anderes ist umstritten. Folgende elf Fakten zeigen, wie stark sich der Lernort Schule gewandelt hat.

1. Abschied vom dreistufigen Schulsystem

Volksschule (heute Hauptschule) in neun Pflichtschuljahren, Mittelschule (heute Realschule) in zehn und schließlich die Oberschule (Gymnasium) mit dem Abitur nach 13 Jahren: So überschaubar stellte sich noch vor vierzig Jahren das dreiteilige westdeutsche Schulsystem dar.

In der DDR gab es die zehnklassige Polytechnische Oberschule. Danach konnten Schüler die Erweiterte Oberschule bis zum Abitur besuchen oder eine Berufsausbildung mit Abitur machen. Ost oder West: Die Strukturen waren starr und boten kaum Spielraum für alternative Lernwege.

Anfang des neuen Jahrtausends sollte das Bildungsangebot breiter und durchlässiger werden. Es entstanden zahlreiche andere Schulformen, die es Schülern leichter machen sollten, innerhalb des Systems zu wechseln.

Der Nachteil der neuen Freiheiten war allerdings, dass jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kochte, denn in Deutschland ist Bildung Ländersache. Die Folge: Es besteht nun ein Begriffs-Wirrwarr von Integrierten und Kooperativen Gesamtschulen, Werk-Realschulen, Fach-Oberschulen oder Sekundarstufen, deren Lernziele und Abschlüsse oftmals nicht aneinander angeglichen sind.

Schüler in der Kantine einer Polytechnischen Oberschule in Görlitz 1973. (Quelle: imago/Ulrich Hässler)Schüler in der Kantine einer Polytechnischen Oberschule in Görlitz 1973. (Quelle: Ulrich Hässler/imago)

2. Experimentierfeld Gymnasium

Die Schulform, die die meisten Umstrukturierungen erlebte, ist das Gymnasium. Anfang der der 70er Jahre beschlossen die Kultusminister der Länder zunächst, die gymnasiale Oberstufe, also das Kurssystem mit Fächer-Wahl-Möglichkeiten einzuführen. Dadurch sollten die Schüler – ähnlich wie an der Universität – eigene Schwerpunkte setzen können und mehr Eigenverantwortung beim Lernen übernehmen.

Der Pisa-Bildungs-Schock um die Jahrtausendwende, als Deutschland im Vergleich zu anderen Industrienationen ziemlich schlecht abschnitt, hatte zur Folge, dass Schule optimiert werden sollte. Das Ziel: effektivere Wissensvermittlung in kompakter Zeit.

Ein Ergebnis dieses Reformdrucks war auch die um ein Jahr verkürzte gymnasiale Oberstufe: Ab 2011 setzte sich das G8 mit dem Turbo-Abi nach und nach in allen Bundesländern durch – inklusive der Regelung, dass die Lernziele vereinheitlicht wurden und so die Inhalte der Abschluss-Prüfungen vom zuständigen Kultusministerium und nicht mehr von der jeweiligen Schule konzipiert wurden. Mittlerweile steht das angebliche Erfolgsmodell jedoch wieder auf dem Prüfstand. Kritiker behaupten, die Vermittlung eines klassischen Wissenskanons brauche mehr Zeit als zwölf Jahre. In manchen Bundesländern wird wieder vermehrt das G9 angeboten.

3. Das Streben nach höherer Bildung

Bis in die 60er Jahre war höhere Schulbildung eher eine elitäre Angelegenheit. Die meisten Kinder besuchten Volks- beziehungsweise Hauptschulen, um danach eine Lehre zu beginnen. Im Jahr 1954 betraf das noch 70 Prozent aller Schüler. Gerade einmal 15 Prozent der Schüler von weiterführenden Schulen besuchten das Gymnasium.

Danach wollten immer mehr die Hochschulreife erreichen. Bereits 1990 konnte jeder vierte das Abitur vorweisen. Dieser Trend hält an: In manchen Ländern wie etwa Baden-Württemberg wechselten 2015 fast 45 Prozent der Viertklässler auf die höhere Schule. Dagegen landeten nur noch knapp zwölf Prozent der Grundschüler auf einer Werkreal- oder Hauptschule und 36 Prozent auf Realschulen.

Eine Lehrerin und ihre Schulklasse im Jahr 1974. (Quelle: imago/Gerhard Leber)Eine Lehrerin und ihre Schulklasse im Jahr 1974. (Quelle: Gerhard Leber/imago)

Schulabgänger, die noch nicht einmal einen Hauptschulabschluss haben, gibt es dagegen immer weniger. Mit etwa 47.000 hat sich ihre Anzahl dem Statistische Bundesamt zufolge seit 2001 annähernd halbiert.

4. Die Schülergesellschaft verändert sich

In den 70er Jahren war es oft eng in den Klassenzimmern. Die geburtenstarken Jahrgänge waren zu Schulkindern herangewachsen. So drängten sich nicht selten mehr als 40 Jungen und Mädchen in einem Raum. In den darauffolgenden Dekaden kamen jedoch immer weniger Babys zur Welt, so dass sich die Reihen nach und nach wieder lichteten.

Allein in den letzten zehn Jahren – so die Angaben des Statistischen Bundesamtes – ist die Schülerzahl um 13 Prozent zurück gegangen.

Schulklasse und Lehrerin beim Unterricht in Bottrop 1973. Integration und Inklusion waren damals noch keine großen Themen. (Quelle: imago/Werner Otto)Schulklasse und Lehrerin beim Unterricht in Bottrop 1973. Integration und Inklusion waren damals noch keine großen Themen. (Quelle: Werner Otto/imago)

Stetig zugenommen hat dagegen der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Sie machen inzwischen ein Drittel der Schülerschaft an allgemeinbildenden Schulen aus. Davon versuchen, entsprechend der allgemeinen Tendenz, auch immer mehr das Abitur zu schaffen. Laut nationalem Bildungsbericht liegt ihr Anteil in den Oberstufen-Klassen bei gut acht Prozent.

5. Von der homogenen Lerngruppe zur Inklusion

Dass Kinder mit Behinderung in allgemeinbildenden Schulen am normalen Unterricht teilnehmen können, gab es in den 70er Jahren nicht. Damals waren Sonder- beziehungsweise Förderschulen für Schüler mit körperlichen oder geistigen Handicaps zuständig.

Heute können dank Inklusion, die in ihrer Umsetzung oft noch in den Kinderschuhen steckt, alle zusammen in einem Klassenzimmer lernen, ohne Aufteilung in homogene Gruppen. Speziell ausgebildete Lehrkräfte kümmern sich dabei um die Mädchen und Jungen, die besondere Förderung und Unterstützung brauchen.

Hinter der inklusiven Pädagogik steckt die Auffassung, dass Normalität innerhalb einer Gesellschaft vor allem durch Unterschiede und Vielfalt definiert wird. Demzufolge muss jeder Mensch gleichermaßen wertgeschätzt werden. Jeder soll gleichberechtigt und möglichst selbstbestimmt an der Gemeinschaft teilhaben.

6. Lernkonzepte als Spiegel ihrer Zeit

Frontalunterricht und Auswendiglernen etwa von Gedichten, Merksätzen oder Geschichtszahlen: so sah vor 40 Jahren häufig der Schulalltag aus. Heute haben Schüler mehr Freiheiten und Abwechslung beim Pauken. Unterschiedliche Konzepte wie etwa Gruppenarbeit, Wochenplan-Projekte, Lernspiele oder Stoffvermittlung mithilfe digitaler Medien sorgen für einen interessanten und zeitgemäßen Unterricht.

Im pädagogischen Fokus steht dabei nicht nur die Vermittlung von nackten Fakten. Kinder sollen im Laufe ihres Schullebens auch lernen, Eigeninitiative, Kreativität sowie Team- und Kritikfähigkeit zu entwickeln. So sind mittlerweile auch die sogenannten Kopfnoten, die Tugenden wie Betragen, Aufmerksamkeit, Fleiß und Ordnung beurteilten, aus der Mode gekommen. Sie werden nun durch die Kategorien Arbeits- und Sozialverhalten im Zeugnis ersetzt.

7. Alte Schulfächer – neue Schulfächer

Obwohl die klassischen Inhalte wie Naturwissenschaften und Sprachen nach wie vor den Löwenanteil des Unterrichts ausmachen, hat sich der Fächerkanon mit der Zeit etwas verändert. Abgeschafft wurden zum Beispiel das Werken als typisches Jungs-Fach, das Handarbeiten als weibliche Domäne, sowie das Schönschreiben, mit dem sich vor allem Grundschüler herumquälen mussten.

Moderner sind Fächer wie Geographie, Geschichte und PoWi (Politik und Wirtschaft) geworden. Sie werden heute häufig nicht mehr isoliert abgehandelt: Es stehen nun eher Themen im Vordergrund, die aus der Perspektive der jeweiligen Disziplinen betrachtet werden. Das Cross-Over-Lernen soll es Schülern leichter machen, komplexe Zusammenhänge zu begreifen.

So sah Informatik-Unterricht 1985 aus. (Quelle: imago/Sven Simon)So sah Informatik-Unterricht 1985 aus. (Quelle: Sven Simon/imago)

8. Lesen und Schreiben früher und heute

An kaum etwas wurde von Bildungspolitikern in den letzen Jahren so intensiv herumgedoktert wie dem Fach Deutsch: Ab 1998 mussten sich Schüler an die Rechtschreibreform gewöhnen – es war die erste seit 1902. Doch nach viel Kritik wurde 2006 manche Neuerung vor allem in den strittigen Bereichen der Getrennt- und Zusammenschreibung sowie der Zeichensetzung teilweise wieder abgemildert, und die Schüler mussten erneut umlernen.

Positive Veränderungen gab es für Grundschüler. Statt wie früher schnörkelige Schreibschrift und Druckschrift zu üben, lernen Schulanfänger heute in vielen Bundesländern nur noch die sogenannte Grundschrift. Hier werden Druckbuchstaben mit Verbindungsstegen zu einer einfachen Schreibschrift ohne komplizierte Schleifen und Kringel.

Das umstrittenste Konzept ist „Lesen durch Schreiben“ (LdS), das seit den 90er Jahren vermehrt in deutschen Klassenzimmern angewendet wird. Dabei eignen sich Erstklässler nicht wie Generationen vor ihnen Buchstabe für Buchstabe aus der Fibel an, sondern können mithilfe einer bebilderten Anlauttabelle Worte zu Papier bringen, wie sie sie hören.

Kinder sollen so ohne Druck und Korrekturen von Anfang an Spaß am Lesen und Schreiben bekommen. Um korrektes Buchstabieren geht es erst später. Dann müssen sich die Schüler ihre individuellen Schreibweisen nach und nach wieder abtrainieren.

9. Vom Pauker zum lehrenden Erzieher

Früher war ein Lehrer hauptsächlich Wissensvermittler, der mit mehr oder weniger Strenge seinen Schützlingen den Stoff im Frontalunterricht nahebrachte. Heute sind seine pädagogischen Kompetenzen weiter gefasst: Er ist Helfer und Partner im Unterricht, wird von vielen Kindern als Vertrauens- und Bezugsperson gesehen.

Denn immer häufiger wachsen Mädchen und Jungen in Familienstrukturen ohne geregelten Tagesablauf und verlässliche Aufsicht auf – etwa weil die Eltern den ganzen Tag arbeiten oder weil das soziale Umfeld problematisch ist. Der Lehrer wird so zum erziehenden Pädagogen, der im Unterschied zu den 70er Jahren mehr Pflichten und Verantwortung für seine Schüler übernehmen muss.

10. Ganztags- statt Halbtagsschule

Nachmittags Freizeit! In den 70ern gab es diese Garantie für Schüler größtenteils noch. Doch dafür gab es häufig  Samstagsunterricht –  wenn auch nicht unbedingt jede Woche. Heute gilt die Fünf-Tage-Woche, oftmals mit einem Stundenplan, der durch die Lehrstoffverdichtung gerade für G8-Schüler und durch das breite Angebot von AGs nicht selten über 35 Stunden hat.

So entwickelt sich Schule mehr und mehr zu einem Ganztags-Lebensraum, wo Kinder und Jugendliche nicht nur lernen und Hausaufgaben machen, sondern auch in der Mensa essen oder mit Freunden in Relax-Räumen chillen können.

11. Noten und Punkte…

Es sind nur Zahlen – doch entscheiden die Noten zwischen 1 und 6 bei Klausuren oder im Zeugnis über schulische Karrieren. Daran hat sich bis heute an allgemeinbildenden staatlichen Schulen nichts geändert.

Nur im Gymnasium löste mit Einführung der Oberstufenreform ein 15 Punkte-System die alten Bewertungen ab. Jede Note war so, statt mit den Vorzeichen Minus oder Plus, in einem Spektrum von drei Punkten darstellbar. Lediglich die Note 6 wird mit 0 Punkten übersetzt und ist nicht dreigeteilt – es gibt keine 6 plus oder 6 minus.

Ausgenommen von Noten-Bewertungen sind heute oft nur Grundschüler in den ersten beiden Klassen. Sie bekommen in den meisten Schulen anfangs ausführliche und motivierende Beurteilungen ihrer Lehrer, die darin vor allem die guten Eigenschaften jedes Kindes hervorheben. Der „Ernst des Lebens“ soll zu Beginn noch Spaß machen, ohne Leistungsdruck. Diese pädagogische Einsicht hatte sich in den 70er Jahren noch nicht durchgesetzt. Damals erfuhren ABC-Schützen etwas früher, dass Zensuren zur Schule gehören, wie die Butter aufs Pausenbrot.

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