Therapiehund bei einer Psychiaterin


Die letzten Strahlen des Pankower Sonnentags durchfluten den gemütlich eingerichteten Raum. Zwei Sessel zieren das Zimmer, ein kleiner Glastisch mit etwas Gebäck und Getränken steht neben den gepolsterten Sitzgelegenheiten – perfekt für ein atmosphärisches Kaffeekränzchen. Dobro, der mittelgroße, rotbraune Vierbeiner, blickt freudig zu seinem ebenso rothaarigen Frauchen auf, während er sich zufrieden auf dem Boden streckt. Das flauschige Fell scheint beinahe magisch die Menschenhand anzuziehen, da es geradezu zum Kraulen verführt. Doch Dobro ist nicht nur ein lieber Geselle, vielmehr ist er ein wichtiger Teil des Teams von Sonja Bülau. Und sie ist nicht nur eine Frau mit viel Tierliebe, sondern auch eine Helferin in der Not.

Was ist eigentlich ein gutes Leben?

Und das komfortable Zimmer im Erdgeschoss des Medizinischen Versorgungszentrums Pinel ist, trotz der entspannten Atmosphäre, ihr Arbeitsplatz. Seit 23 Jahren hilft Bülau Menschen mit psychischen Problemen. Als langjährige Psychiaterin bereut sie ihre Berufswahl keine Sekunde, obgleich dieser Weg zunächst nicht geplant war. Dass sie Medizin studiert, war für Bülau selbstverständlich, die psychiatrische Richtung jedoch „war echt ein Zufall“. Der Blick ihrer klarblauen Augen wirkt beruhigend und wissend. Nach ihrem Medizinstudium arbeitete Bülau zunächst im Labor der Universitätsklinik in München, doch das war „nicht nah genug am Menschen“, erklärt die Psychiaterin. Aus diesem Grund fing sie in der Erwachsenenpsychiatrie in München an. Da es der heutigen Therapeutin dort gefiel, blieb sie in dem Gebiet. „Ich bin bis heute froh darüber“, resümiert sie, während sich Dobro wie zur Bestätigung auf seinem Schlafplatz zufrieden zusammenrollt. „Was ist normal, was ist eigentlich ein gutes Leben?“, beschreibt sie ihre Kernfragen mit großen Gesten. „Es gibt viele verschiedene Richtungen der Psychiatrie.“ Da sei einerseits die strenge Psychiatrie und andererseits die soziale Psychiatrie, die das Fachgebiet von Bülau ist. „Man behandelt nicht, man verhandelt.“

„Es gibt kein Richtig oder Falsch“

Vor allem in der Sozialpsychiatrie habe man ein offenes Menschenbild und dadurch den Blick auf das Leben und die eigene Entwicklung. Die Haltung in der Gesellschaft scheint ihr dabei im Laufe der Jahre offener geworden zu sein. Auch durch Prominente, die sich vermehrt zu psychischen Erkrankungen bekennen, scheine das Thema weniger stigmatisiert zu werden. „Man muss wahnsinnig offen sein.“ Doch das lerne man, gibt Bülau zuversichtlich zu verstehen. „Es gibt kein Richtig oder Falsch.“ Das ist auch eine große Lehre fürs Leben. Außerdem muss der Mittelweg zwischen der Nähe und Distanz gefunden werden. Natürlich sollten dem Patienten Verständnis und Gefühl entgegengebracht werden, doch zugleich dürfen die Gefühle nicht die Oberhand gewinnen. Denn ein kühler Kopf ist neben medizinischem Können und ausgeprägter Menschenkenntnis essenziell. Nach langjähriger Berufserfahrung fällt die Trennung zwischen der Arbeit und der Freizeit nicht schwer, „ansonsten könnte man es in der Menge nicht schaffen“. Dennoch bleiben einige Geschichten in Erinnerung, gibt sie kopfnickend zu. Nachdenklich blickt sie durch das Fenster, eine ihrer Patientinnen sei ihr besonders im Gedächtnis geblieben: Sie war kerngesund, doch durch den Tod der eigenen Tochter traumatisiert. Diese verstarb an den Folgen ihrer Grunderkrankungen während eines Familienurlaubs. Die wiederholte Beschreibung des Todeszeitpunkts mit all ihren Details und Gefühlen der Patientin ging unter die Haut. Vor allem, wenn es um Kinder geht, ist die professionelle Distanz besonders schwer.

Nahezu jeder freut sich über ihn

Als Psychiaterin erlebt Sonja Bülau eine große Bandbreite an psychischen Erkrankungen. Dabei ist etwa ein Drittel ihrer Patienten in einer schwierigen Lage, doch psychisch gesund. „Diese Menschen haben keine originär schwere psychische Erkrankung“, sagt sie. Der restliche Teil dagegen hat eine nachgewiesene schwierige Krankheit. Dazu gehören einmalige oder chronische Erkrankungen, aber auch frühkindliche Entwicklungsstörungen. Sie bleibt optimistisch und betont: „Jeder kann es schaffen.“ Manchmal dauere es nur Monate, manchmal mehrere Jahre. In dem Moment, als sie das sagt, flattert ein Schmetterling auf die bunten Blüten vor dem Praxisfenster.

Doch egal, wie schlimm die Lage der Patienten zu sein scheint, nahezu jeder freut sich über Dobro, denn er ist wie eine Therapie für sich. So behandelte die Ärztin ein junges Mädchen, das sich aufgrund einer psychischen Kommunikationsstörung schwertat zu reden. Seitdem die Fellnase ihr aber Gesellschaft leistet, fällt ihr das Sprechen weniger schwer. „Es geht so viel besser“, erzählt Bülau mit einem liebevollen Blick auf den schlafenden Dobro. Mit seiner feinfühligen Schnuppernase stupst der Vierbeiner den Besucher in Not an, legt sein Schnäuzchen ab, und gleich scheint die Welt ein Stückchen bunter zu sein. „Er ist ein Ko-Therapeut geworden, aber im Moment ein müder“, lacht Bülau und betrachtet liebevoll den schnarchenden Dobro bei seinem Mittagsschläfchen.

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