Wenn ADHS die Nachtruhe stört

Kinder und Jugendliche, bei denen ADHS diagnostiziert wurde, sind nicht nur unkonzentriert, zappelig und unausgeglichen – sie schlafen häufig auch schlecht. Warum das so ist und wie Betroffenen geholfen werden kann, erklärt ein Kinder- und Jugendpsychiater.

Zwischen dreißig und fünfzig Prozent der heranwachsenden ADHS-Patienten sind von Schlafstörungen betroffen. Dennoch ist es für die behandelnden Ärzte oft nicht einfach, die Zusammenhänge zwischen der Schlafqualität und der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung eindeutig nachzuweisen. Auch was Ursache und was Wirkung ist, lässt sich nicht immer exakt beantworten. 

Mehr Transparenz bringen auch die zahlreichen Studien nicht, die über das Schlafverhalten von Kindern und Jugendlichen mit ADHS veröffentlicht wurden.

Studien legen unterschiedliche Kritierien zugrunde

Die Untersuchungen mittels Schlafprotokollen und Fragebögen seien häufig subjektiv und verzerrend, sagt der Stuttgarter Kinder- und Jugendpsychiater Jan Frölich. Das liege daran, dass fast jede Erhebung bezüglich des Patientenalters oder der diagnostischen Kriterien unterschiedlich zusammengestellt sei.

Außerdem gehe die ADHS mit einer Vielzahl von psychiatrischen Auffälligkeiten einher, die ihrerseits gesunden Schlaf erschwerten. Das mache es besonders kompliziert, ein für ADHS typisches Schlafprofil herauszufiltern.

Unausgewogene biochemische Abläufe stören den Schlaf

„Ohnehin ist nicht geklärt, inwieweit ein gestörter Nachtschlaf eine Auswirkung auf die ADHS-Symptomatik hat“, sagt Frölich. „In der Praxis gibt es durchaus Patienten, die von einer ADHS betroffen sind, weniger schlafen als nicht betroffene Gleichaltrige und bei denen trotzdem keine Auswirkungen auf die Tagesleistungsfähigkeit oder das emotionale Befinden nachgewiesen werden können.“

Ein- und Durchschlafprobleme sind am häufigsten

Das Spektrum der möglichen Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS ist breit gefächert. Am häufigsten haben Betroffene aber Schwierigkeiten beim Ein- beziehungsweise Durchschlafen, und sie wachen oft sehr früh auf.

„Analog zu den Aufmerksamkeitsproblemen am Tage scheint es so zu sein, dass ein Teil der Betroffenen neurobiologisch bedingt Probleme hat, vom Wach- in den Schlafzustand zu gelangen“, kommentiert der Experte. „Man nimmt an, dass hier das Ungleichgewicht des Botenstoffwechsels mit eine Rolle spielen kann. In manchen Fällen hat es auch mit einer zu geringen oder verspäteten Freisetzung des körpereigenen Einschlafhormons Melatonin zu tun.“

Hinzu komme, dass ein Teil der Kinder besonders abends erhebliche ADHS-Symptome mit Hyperaktivität und Impulsivität zeige. Das könne dann wiederum den harmonischen Umgang mit den Eltern erschweren und damit auch ein ruhiges und entspanntes Zubettgehen.

Schlafapnoe oder Restless Legs können ADHS verstärken

Eine Zuordnung der Schlafprobleme wird in manchen Fällen auch durch Querverbindungen zu anderen organischen Störungsbildern erschwert. Hier nennt Kinder- und Jugendpsychiater Frölich vor allem das Schlafapnoe-Syndrom, das durch Atempausen während des Schlafes verursacht wird.

Seltener sei das Restless-Legs-Syndrom (RLS), also der Bewegungsdrang und unwillkürliche Bewegungen der Beine, wenn man ruhig im Bett liegen will. Das RLS sei auf eine Fehlfunktion des Dopamin-Stoffwechsels zurückzuführen, sagt Frölich.

Durch solche Störungen verliere der nächtliche Schlaf nicht nur seine Erholungskraft. Sie könnten – insbesondere bei Kindern – auch typische ADHS-Symptome nach sich ziehen mit Konzentrationsproblemen, Unausgeglichenheit und motorischer Unruhe.

„Hierbei handelt es sich dann in manchen Fällen um eine paradoxe Reaktion auf das Unausgeschlafensein. Bei Erwachsenen würde man häufiger eine verstärkte Tagesmüdigkeit feststellen. Entsprechend wichtig ist es, die behandelnden Ärzte immer auch nach schlafbezogenen Atmungsstörungen, wie Schnarchen, hörbaren Apnoen oder Vergrößerungen der Gaumen- und Rachenmandeln zu fragen. Nur so kann man nach dem Ausschlussverfahren feststellen, was letztendlich den Schlafmangel verursacht.“

Auch Ritalin und Amphetamin lösen Schlafprobleme aus

Negative Auswirkungen auf die Schlafstruktur haben nachweislich auch die ADHS-Medikamente Methylphenidat (bekannt als Ritalin) oder Amphetamin. Neuere Untersuchungen haben nachgewiesen, dass diese Psychostimulanzien deutlich häufiger Durchschlafstörungen auslösen, als das bisher in Studien geäußert wurde. Deshalb wünscht sich Frölich, dass bei der Medikation verstärkt der vielschichtige Zusammenhang von Schlaf und ADHS berücksichtigt wird.

„In manchen Fällen ist es dann notwendig, die Dosierung der Psychostimulanzien zu reduzieren, um die Schlafprobleme zu verringern.“ Zudem bestehe durch die Verabreichung des Hormons Melatonin die Chance, vor allem Einschlafschwierigkeiten zu verbessern. Diese Behandlung sollte jedoch nur vorübergehend erfolgen. „Außerdem ist sie nicht offiziell zugelassen und ist somit als individuelles Heilverfahren zu bewerten.“

Um eine gesunde Schlafarchitektur wieder herzustellen, können primär auch Einschlafrituale und bestimmte Entspannungstechniken als begleitende Maßnahme hilfreich sein, die auch Minderjährige lernen können.  

Müdigkeit und Medienkonsum verschlimmern ADHS

Außerdem rät der erfahrene Kinder- und Jugendpsychiater allen Eltern eines übermüdeten „Zappelphilipps“, konsequent dafür zu sorgen, dass das Schlummerpensum ihres Kindes ausreichend ist. Ausreichender Schlaf spielt eine elementare Rolle für die körperliche, geistige und psychische Leistungsfähigkeit Heranwachsender. Doch eine genügende Schlafmenge scheint schwieriger denn je umsetzbar zu sein. Durchschnittlich kommen Teenager nur noch auf etwa sieben Stunden Nachtruhe.

„Weltweit stehen wir vor dem Riesenproblem, dass die Schlafmenge, die Jugendliche eigentlich benötigen, bei weitem nicht erreicht wird. Insofern kann man davon ausgehen, dass ein erheblicher Teil der sogenannten ADHS-Symptome heutzutage Ausdruck der Unausgeschlafenheit ist. Hierbei spielt auch der allabendliche, exzessive Medienkonsum eine herausragende Rolle.“

Deshalb, so die dringliche Empfehlung des Psychiaters, sollten Väter und Mütter unbedingt den Mut aufbringen, das konfliktträchtige Thema anzupacken und zur Not auch ohne Einverständnis ihres Kindes abends die Computer-, Tablet-, oder Smartphone-Benutzung klar zu begrenzen.

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